37 Prozent der Deutschen sind mit der Demokratie unzufrieden. Mehr als ein Drittel findet, dass die Demokratie weniger gut bzw. schlecht funktioniert. Noch verheerender jedoch die Zahlen für Ostdeutschland. Dort haben 61 Prozent der Bürger eine skeptische Haltung gegenüber der Demokratie. Diese Ergebnisse liefert eine repräsentative Umfrage der Friedrich-Ebert Stiftung (FES) aus dem Jahr 2008 zum Thema "Persönliche Lebensumstände, Einstellungen zu Reformen, Potentialen der Demokratieentfremdung und Wahlverhalten" befragt hat. "Ich fürchte, rund ein Drittel der Menschen hat sich schon von der Demokratie verabschiedet", so der Wissenschaftler Frank Karl von der FES bei der Vorstellung der Studie.
Bürger wollen mitentscheiden
Dennoch: Es ist ein steigendes Interesse an einer aktiveren Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in politische Entscheidungsprozesse zu beobachten. Das äußert sich in der zunehmenden
Forderung verschiedener gesellschaftlicher und politischer Gruppen nach Formen direkter Demokratie. Demokratietheoretiker haben die Beteiligung an der gesellschaftlichen Gestaltung als eines der
zentralen Elemente für die Demokratieentwicklung identifiziert. Daher stören sich immer mehr Menschen an der zu beobachtenden Verlagerung von Willensbildungsprozessen in Expertengremien. Dies
schadet vor allem dem Ansehen der Demokratie. Dass "die da oben" über die Köpfe von "uns hier unten" hinweg Entscheidungen treffen und nur eingeschränkte Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen
und Bürger bestehen, wird nicht mehr widerspruchslos hingenommen.
Von Arnim: "obersten Repräsentanten selbst bestimmen"
Ein gutes Zeichen, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die Demokratie noch nicht abgeschrieben hat, ist jedoch die steigende Zahl von Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheiden auf
lokaler oder föderaler Ebene. Egal ob die Abstimmung über die
Schulreform in Hamburg, oder über eine mögliche Befragung der Bevölkerung über das Großprojekt
"Stuttgart 21": Die Menschen wollen teilhaben an der Willensbildung, wie auch Befragungen zur Wahl des Bundespräsidenten in den
vergangenen Wochen gezeigt haben. Diese Forderungen muss die Politik berücksichtigen und in ihre Entscheidungen einfließen lassen. Dafür plädiert auch der Parteienforscher
Hans-Herbert von Arnim in einem Interview mit der Tageszeitung "Der Westen":
"Es kann in einer Demokratie generell nicht ganz falsch sein, wenn die Bürger ihren obersten Repräsentanten selbst bestimmen. Ein so vom Volk Gewählter könnte aber vor allem mit viel mehr
Aussicht auf Erfolg das Gemeinwohl vertreten und ein Widerlager bilden gegen die Übermacht der Parteien."
Vertrauen in die Politik schwindet
Trotz aller Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung: Teile der Bevölkerung zweifeln daran, dass die Politik ihre persönlichen Probleme lösen kann. Heike Walk, Politikwissenschaftlerin an
der Technischen Universität Berlin, sieht die
Probleme in der Zukunftsangst der Bürger, einer Furcht vor dem sozialen Abstieg und verantwortlich dafür wird die Politik
gemacht: "Das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik schwindet, und die Massenmedien schüren das Misstrauen mit Nachrichten, die sich in erster Linie gut verkaufen lassen. Das
ist keine gute Entwicklung, denn das demokratische System ist die 'einzige Herrschaftsform, die in ständiger erneuter Kraftanstrengung gelernt werden muss'", so die Expertin für
Bürgergesellschaft und Demokratie.
Sozial Schwache sind besonders skeptisch
Die FES-Studie offenbart, dass insbesondere Arbeitslose (71%), Hartz-IV-Empfänger (63%) und Nichtwähler (55%) demokratieskeptisch sind. Auch die Problemlösungskompetenz in einer Demokratie
wird von einem Drittel der Befragten kritisch gesehen. Im Osten sprechen sogar 52% der Demokratie die Fähigkeit ab, Probleme zu lösen. Für fast jeden Vierten ist die Demokratie nicht
verteidigenswert. 22% der Deutschen würden für die Demokratie nicht kämpfen, im Osten sind es sogar 38%. Noch gravierender die Zahl bei den Arbeitslosen (54%) bzw. Hartz-IV-Empfängern (52%).
Nicht allein das Misstrauen gegen die Demokratie scheint in der Bevölkerung zu wachsen, auch der Glaube an das politische System ist offenbar dramatisch zurückgegangen. So fühlen sich nur
62 Prozent der Bürger gerecht behandelt, während jeder Vierte angab, ungerecht behandelt zu werden. "Das deutet darauf hin, dass viele Menschen fürchten, demnächst abzurutschen, und sie machen
das System dafür verantwortlich", erklärt Frank Karl von der FES.
Es lässt sich also ein deutlicher Zusammenhang zwischen Demokratie und sozialer Gerechtigkeit feststellen. Trotz der Skepsis vieler Befragter an der Demokratie, hat doch die Mehrheit klare
Vorstellungen von einer demokratischen Ordnung. Dennoch bleibt die Gefahr bestehen: Durch den Zerfall der Einheit von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit wird die Funktionsfähigkeit der
Demokratie in Frage gestellt.
Link zur Repräsentativbefragung der Gesellschaft für Sozial- und Marktforschung mbH polis/sinus im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (2503 Befragte; 1750 West/753 Ost): " Persönliche Lebensumstände, Einstellungen zu Reformen, Potenziale der Demokratieentfremdung und Wahlverhalten": URL: www.fes.de/inhalt/Dokumente_2008/Zusammenfassung_Studie_GPI.pdf (09.08. 2010)