Es ist nicht richtig, dass Arbeit höher besteuert wird als Kapitaleinkünfte, sagt Christiane Karjewski, im Kompetenzteam von Peer Steinbrück zuständig für Wirtschaft. Im Interview mit dem vorwärts fordert sie mehr Investitionen und Wertschätzung gegenüber jenen, "die unseren Wohlstand und unser Wachstum erarbeiten".
vorwärts: Ein Markt mit Leitplanken setzt wo Grenzen?
Chritiane Krajewski: Ein Markt mit Leitplanken setzt da Grenzen, wo er gegen das Grundgesetz verstößt. Dort steht: „Eigentum verpflichtet“. Die Gemeinwohlorientierung des Eigentums ist in unserer Verfassung verankert. Von hier aus müssen die Leitplanken gesetzt werden.
Gehört die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentliche Hand?
Der Staat hat die öffentliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Das bedeutet nicht, dass er sie auch in allen Bereichen selbst betreiben muss. Aber er muss die Standards und die Rahmenbedingungen dafür setzen.
Sie haben gesagt, „Mitarbeiter sind das eigentliche Kapital des Betriebs“. Fehlt es heute in den Betrieben an Anerkennung für die geleistete Arbeitskraft und werden Mitarbeiter nur noch als Kostenfaktor gewertet?
Wir leben in einer Zeit, wo Wettbewerbsfähigkeit so in den Mittelpunkt rückt, dass beinahe stolz berichtet wird, dass man die Lohnquote auf einen bestimmtem Wert x oder y habe drücken können. Das ist ein bedenklicher Sprachgebrauch und zeigt, dass die Anerkennungskultur verloren gegangen ist. Ich habe als Kind im väterlichen Betrieb gelernt, dass Arbeitnehmer das eigentliche Kapital des Unternehmens sind. Und ich möchte diese persönlichen Erfahrungen, ohne sie in den Mittelpunkt rücken zu wollen, weitergeben.
Kann Politik dabei etwas bewirken?
Politik macht Meinungen. Politik kann durch das gesprochene Wort unheimlich viel verändern. Nicht nur durch die in Gesetzen verabschiedeten Maßnahmen, sondern auch durch die Kommunikation. Deshalb ist die Wertschätzung gegenüber denjenigen, die unseren Wohlstand und unser Wachstum erarbeiten, unverzichtbar. Und ich finde es nicht richtig, dass Arbeit höher besteuert wird als Kapitaleinkünfte. Durch das Anheben der Abgeltungssteuer von 25 auf 32 Prozent beginnen wir mit der Korrektur dieses wesentlichen Fehlers.
In der Vergangenheit ist oft gesagt worden, Geld sei ein scheues Reh und bei Androhung solcher Maßnahmen fliehe das Kapital. Doch langsam bemüht man sich selbst auf G20-Ebene, die Fluchtbewegungen dieses scheuen Rehs etwas besser in den Griff zu bekommen. Die Zahl der Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung war im ersten Halbjahr 2013 genauso hoch wie im ganzen Jahr 2012. Das zeigt, dass scheue Reh ist schon ein bisschen aufgescheucht. Nur die Bundesregierung macht bei der Bekämpfung von Steuerbetrug eine ganz schlechte Figur, das werden wir ändern.
Auch beim Mindestlohn geht es um eine Art Wertschätzung für geleistete Arbeitskraft?
Ja. Aber es geht auch um Würde. Es geht darum, dass man aus eigener Kraft für seine Familie sorgen kann. Das ist mit dem Mindestlohn noch nicht im vollen Umfang gegeben, aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und es ist gerechter, als wenn wir aus Steuergeldern Lohnkosten in Unternehmen subventionieren.
Sie plädieren für eine Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft. Was läuft derzeit schief?
Schief läuft, dass sich die Schere zwischen den Bessergesellten in unserer Gesellschaft und den Armen immer weiter auftut. Schief läuft, dass unsere öffentliche Infrastruktur kaputt geht. Die Bundesregierung geht mit unseren öffentlichen Gütern in unverantwortlicher Weise um. Schief läuft auch, dass die Regierung keine Strukturpolitik macht, so dass wir Gefahr laufen unsere wirtschaftliche Produktivität einzubüßen.
Wie lässt sich mehr sozialer Ausgleich schaffen?
In erster Linie brauchen wir mehr Bildungsinvestitionen. Wir haben die Situation, dass ärmere Bevölkerungsschichten für ihre Kinder weniger Bildung ermöglichen können als Bessergestellte. Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive in der Bildung und absolut verlässliche Strukturen, wie den Ausbau von Kindertageseinrichtungen und Ganztagsschulen. Das geht bis in den Hochschulbereich hinein. Wir wollen, dass jeder seine Chancen auch nutzen kann und die Möglichkeit hat, bestmögliche Bildung zu erfahren. Das ist für mich der Schlüssel.
Muss der Staat wieder mehr investieren?
Ja. Der Staat muss in die Bildung investieren, er muss aber auch unsere Vermögenswerte insgesamt bewahren und weiterentwickeln. Dazu gehören auch unsere Straßen, dazu gehört die Bahn und die Entwicklung des schnellen Internets in unserem Lande. Wir dürfen nicht zurückfallen. Wir brauchen mehr öffentliche Mittel, um Infrastruktur für unsere Bevölkerung aber auch für unsere Unternehmen zu gewährleisten.
Wie können wir Menschen, die von derzeitiger Wirtschaftspolitik profitieren und denen es finanziell gut geht, davon überzeugen, dass sozialer Ausgleich auch ihnen zu Gute kommt?
Ich glaube, dass ein großer Teil der Bevölkerung eine feine Antenne dafür hat, wo Grenzen überschritten werden. Auch große Teile der Bevölkerung, die sich selbst nicht von Ausgrenzung oder Armut betroffen fühlen, setzen sich für gesetzliche Mindestlöhne ein, sind für besondere Bildungsanstrengungen für benachteiligte Kinder oder ein gerechteres Steuersystem. Sie können wir an diesen Punkten gewinnen. Unsere Wähler gehören auch zur Mitte und wir wollen attraktiv sein, für diejenigen, die Neues wagen wollen in unserem Land.
Kann Politik die entfesselten Finanzmärkte noch regulieren?
Bisher können sich die Finanzmärkte ins Fäustchen lachen, weil die Politik reagiert. Die deutsche Bundesregierung ist getrieben von Krisen und damit beschäftigt, bis zum 22. September alles unter der Decke zu halten. Der Grundsatz, dass Risiko und Haftung zusammengehören und dass die Steuerzahler zuletzt heranzuziehen sind ist ein Grundsatz, der im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise wenig praktiziert worden ist. Das bedeutet für die Zukunft, dass wir die den Banken innewohnenden Risiken rechtzeitig abtrennen müssen. Deshalb auch das Plädoyer für ein Trennbankensystem, damit die Geschäftsbanken zum Geschäftsmodell des ehrbaren Kaufmanns zurückkehren können.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.