Inland

„Polarisierend und konfrontativ“

von ohne Autor · 8. Oktober 2011
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vorwärts.de: Morgen wählen die Polen ein neues Parlament. Mit welchem Ausgang rechnen Sie?

Kai-Olaf Lang: In jedem Fall wird es einen engen Ausgang geben. In den meisten Umfragen liegt die Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk vorn. Allerdings hat die oppositionelle "Recht und Gerechtigkeit", PiS von Ex-Premier Jarosław Kaczyński zuletzt aufgeholt. Bei den vorhergehenden Wahlen wurde die PiS zudem in den Umfragen schlechter bewertet als sie am Wahltag dann tatsächlich Stimmen holte, weil sich viele nicht dazu bekennen, dass sie die Partei wählen. Es würde mich daher nicht wundern, wenn beide Parteien am Sonntag etwa gleichauf liegen. Allerdings hat die Bürgerplattform die besseren Koalitionsaussichten.

Welche Möglichkeiten gibt es da?

Natürlich besteht eine Option darin, dass es zu einer Neuauflage der bisherigen Mitte-Rechts-Koalition aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) kommt. Es ist aber gut möglich, dass diese beiden Parteien keine Mehrheit bekommen. Sie könnten dann die Sozialdemokraten, die SLD, als dritten Partner mit in die Regierung nehmen. Das würde inhaltlich, gerade für die PO ganz gut passen. Sollte die auf Kirchenkritik und libertinären Themen gründende Bewegung von Janusz Palikot, einem früheren Politiker der Bürgerplattform, ins Parlament kommen, wäre es denkbar, dass diese eine PO-Regierung parlamentarisch stützt. Sollte Jarosław Kaczyński mit der PiS jedoch deutlich vor der Bürgerplattform liegen, würde eine Partei wie die PSL sich bei der Regierungsbildung möglicherweise von der PO abwenden.

Wenn die Bürgerplattform erneut stärkste Kraft wird, wäre sie die erste Partei nach 1989, die zwei Legislaturperioden nacheinander regiert. Was sagt das über die politische Kultur Polens aus?

Die Stabilität im polnischen Parteiensystem hat auf jeden Fall zugenommen, politische Neueinsteiger haben es schwerer als früher, obwohl die Wähler immer noch hin und her springen. Die politische Kultur insgesamt ist dagegen nach wie vor sehr polarisierend und konfrontativ. Die beiden zentralen Akteure Bürgerplattform und PiS strukturieren den politischen Raum. Das Klima zwischen beiden ist geprägt von Misstrauen.

Dennoch ist der Wahlkampf sehr zahm verlaufen.

Das stimmt. Dieser Wahlkampf ist wahrscheinlich der unspektakulärste und langweiligste, den Polen seit 1989 erlebt hat und eigentlich atypisch. Die großen Themen fehlen. Ministerpräsident Tusk hat natürlich versucht, die Errungenschaften seiner Regierung in den Vordergrund zu stellen. Polen ist bisher gut durch die Wirtschaftskrise gekommen. Tusk erklärt dies mit seiner erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Und er präsentiert sich als Anti-Kaczyński. Wenn man an die Regierung der Kaczyński-Zwillinge - der eine als Präsident, der andere als Ministerpräsident - zurückdenkt, erinnert man sich vor allem an eine Zeit, in der Durcheinander und Ideologisierung herrschten. Tusk verspricht den Polen dagegen Normalität.

Geht das Konzept auf?

Die Strategie trug eine ganze Zeit. Mittlerweile verliert sie aber an Kraft. Je länger die Regierung von Jarosław Kaczyński zurückliegt, desto stärker verblasst die Erinnerung. Vor einigen Wochen hat eine Umfrage ergeben, dass die Jungwähler zwischen 18 und 24 Jahren erstmals stärker der PiS zuneigen als der Bürgerplattform. Die kennen die Regierungsphase der Partei kaum noch. Und die PiS ist darauf gut eingegangen, indem sie einen eher Lifestyle-orientierten Wahlkampf geführt hat, etwa mehrere junge Kandidatinnen, die "Engelchen der PiS" gekonnt inszenierte. Daneben präsentiert sich Kaczyński weiterhin als Vertreter der Peripherie und der kleinen Leute.

Wie fällt die Bilanz der Regierung Tusk aus?

Donald Tusk hat eine recht solide Amtsführung gezeigt. Vor allem praktiziert er einen vollkommen anderen Politikstil als sein Vorgänger Kaczyński, der Polen vollkommen umkrempeln wollte. Tusk hat Ruhe ins Land gebracht und versucht eher, ein integrativer Ministerpräsident sein und Gräben zuschütten. Dabei ist er bisher allerdings konturlos geblieben. Sein größter Erfolg ist sicher, dass er die Bürgerplattform bei den letzten Wahlen 2007 zu einer Volkspartei gemacht hat. Er hat Brücken geschlagen zur Linken wie zur Rechten. Das Konzept kann aufgehen, ist aber nicht ohne Risiko.

Sicherlich muss man die Wirtschaftspolitik loben. Sie hat Polen gut durch die Krise gebracht - wenn auch die deutliche Abwertung des Złoty unter anderem zu einem beachtlichen Preisauftrieb geführt hat. Die soziale Frage Polens ist dagegen weiterhin offen. Die Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere von Hochschulabsolventen, ist hoch, die Lebenshaltungskosten steigen. Außerdem hat Tusk bei Dauerthemen wie dem Umbau der Renten- und Gesundheitssysteme zwar erste Schritte gemacht, jedoch keine entschlossenen Stzrukturreformen umgesetzt. Beim Autobahnbau und bei der angekündigten Verschlankung der Verwaltung klaffen Versprechungen und Realität ebenfalls weit auseinander.

Und in der Außenpolitik?

Die Regierung Tusk hat Polen zurück nach Europa gebracht. Unter den Kaczyńskis drohte sich das Land selbst zu marginalisieren. Diesen Kurs der Randständigkeit hat die PO-PSL-Regierung beendet. Tusk und sein Außenminister Sikorski, seit 2010 unterstützt vom damals gewählten Staatspräsidenten Komorowski, haben neue Brücken zu Deutschland gebaut und möchten das Weimarer Dreieck aus Polen, Deutschland und Frankreich stärken. Und nicht zuletzt haben Tusk und seine Regierung einen Prozess der pragmatischen Annäherung an Russland begonnen. Polen hat heute in der EU ein ganz anderes Standing als früher. In der gegenwärtige EU-Ratspräsidentschaft zeigt sich ebenso, wie pro-europäisch das Land mittlerweile agiert.

Mal unabhängig von Wahlausgang am Sonntag: Wie geht es mit Polen weiter?

Ich denke, die Probleme beginnen in jedem Fall im kommenden Jahr. Dann wird voraussichtlich das wirtschaftliche Wachstum nachlassen, Inflation und Arbeitslosigkeit werden steigen. Und in diesem ungünstigen Umfeld muss der Haushalt konsolidiert werden,. Unpopuläre Maßnahmen wie die Rentenreform und der Umbau den Gesundheitssystems müssen in Angriff genommen werden. Da kommt einiges auf die nächste Regierung zu.

Kai-Olaf Lang ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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