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Plattformökonomie: Was Hubertus Heil für Soloselbstständige erreichen will

Von Lieferdienst bis Textarbeit – immer mehr Dienstleistungen werden über digitale Plattformen beauftragt. Die Corona-Krise verstärkt diesen Trend. Doch die Soloselbstständigen dort haben wenig Schutzrechte. Das will Arbeitsminister Hubertus Heil ändern.
von Vera Rosigkeit · 30. November 2020

„Digitalisierung darf nicht mit Ausbeutung verwechselt werden“, betont Hubertus Heil. „Wir können nicht hinnehmen, dass Plattformen hier einseitig die Bedingungen vorgeben.“ Deshalb will der Bundesarbeitsminister statt auf Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, die Sozialpartnerschaft auch in der digitalen Wirtschaft stärken. Mit einer Reihe von Maßnahmen will er Rechte von Plattformtätigen gegenüber Arbeitsplattformen stärken und für faire Bedingungen und mehr sozialen Schutz sorgen. So sehen die konkreten Vorschläge aus dem Bundesarbeitsministerium aus:

Welche Plattformen sind gemeint?

Für viele Erwerbstätige ist plattformvermittelte Arbeit Normalität geworden. Es geht um Essenlieferanten, Fahrdienste und Haushaltsdienstleistungen sowie Online-Arbeit wie etwa Lektorat oder Programmierung. In vielen Fällen haben die Beschäftigten nur eingeschränkten Einfluss auf die Vertragsbedingungen und Preisgestaltung. In der Regel sind die Arbeitsplattformen, die wesentliche Vorteile aus der Austauschbeziehung ziehen, nicht an den Kosten der sozialen Sicherung beteiligt. 

Wann sind Plattformbeschäftigte selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt?

Das ist oft nicht klar. Die Unternehmen hinter den Plattformen gehen in der Regel davon aus, dass die für sie Tätigen selbstständig sind. Den Beschäftigten hingegen fehlt es an notwendigen Informationen, um eine verlässliche Einschätzung über ihren Status vornehmen zu können. Das soll sich ändern: Das Bundesministerium will eine Beweislastumkehr einführen zugunsten der Plattformtätigen. Das soll die Klärung des Arbeitnehmerstatus erleichtern. Denn wenn Indizien auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses hinweisen, wäre die Plattform verpflichtet, das Gegenteil zu beweisen.

Wer zahlt für die Alterssicherung?

Da Plattformen in der Regel davon ausgehen, dass die für sie Tätigen selbständig sind, müssen Beschäftigte selbst bei geringem Einkommen privat vorsorgen. Das BMAS möchte das ändern und soloselbständige Plattformtätige künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Parallel dazu sollen auch Plattformbetreiber an der Beitragszahlung beteiligt werden.

Wer zahlt Kranken- und Unfallversicherung?

Auch hier will das BMAS tätig werden und zunächst Beiträge der Plattformen für weitere Sozialversicherungen wie zum Beispiel zur Krankenversicherung prüfen lassen. Gleichzeitig wird nach Wegen gesucht, wie die Absicherung in der Unfallversicherung verbessert werden kann. Letztere ist vor allem für Beschäftigte wichtig, die nicht ortsgebunden arbeiten, sondern sich viel im Straßenverkehr aufhalten, wie bei Essenlieferungen und Fahrdiensten.

Können sich Plattformeschäftigte kollekiv für Arbeitsrechte organisieren?

Bisher können soloselbstständige Plattformtätige ihre Arbeitsbedingungen nicht kollektiv aushandeln. Das Ministerium spricht in diesem Zusammenhang von einem asymetrischen Machtverhältnis zwischen Arbeitsplattformen und Beschäftigten, denn Plattformbetreiber*innen bestimmen einseitig die Arbeitsbedingungen von vermeintlich Selbständigen. Auch das soll sich ändern: Das BMAS will Wege für Soloselbstständige finden, damit sie sich kollektiv für ihre Rechte einsetzen können. 

Wie sieht es mit Arbeitsschutzrechten wie Kündigungsfristen oder Mutterschutz aus?

Hier will das BMAS verbindliche Mindestkündigungsfristen in Abhängigkeit von der Dauer der Tätigkeit auf einer Plattform festschreiben. Denn viele Plattformen sehen in ihren Vertragsbedingungen vor, dass das Rechtsverhältnis einseitig ohne Einhalten einer Frist beendet werden kann („digitale kalte Kündigung“). Aber auch über weitere elementare Schutzregelungen wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, dem Mutterschutz und Urlaubsanspruch soll nachgedacht werden.

Lassen sich diese Regeln auch irgendwie kontrollieren?

Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Justiz will das BMAS dafür sorgen, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einseitig zu Lasten der Plattformtätigen gehen, einfacher und unkomplizierter gerichtlich überprüft werden können. Beschäftigte dürften durch diese unwirksamen AGB nicht über Rechte und Pflichten getäuscht werden, heißt es zur Begründung.

Wie lässt sich mehr Transparenz schaffen?

Um die Datenlage der oft grenzüberschreitenden Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie zu verbessern, sollen zudem Transparenz- und Meldepflichten für alle Plattformbetreiber auf EU-Ebene gegenüber einer öffentlichen Behörde etabliert werden.

Wie viele Personen sind betroffen?

Nach dem COLLEM-Survey der EU-Kommission von2020 haben im Jahr 2018 beziehen ca. 5,7 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche für eine Plattform. Das entspreche rund 2,7 Mio. Menschen hochgerechnet auf das Erwerbspersonenpersonal. Andere Studien kommen zu deutlich niedrigeren Zahlen wie die Studie von Bonin/Rinne (2017), der zufolge etwas 0,9 Prozent und damit rund 423.000 Menschen bereits Plattformarbeit geleistet haben. Tatsache aber ist, dass Plattformarbeit an Bedeutung gewinnt und weiter zunehmen wird. (Mehr Infos unter www.bmas.de)

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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