Pegida-Anhänger sind „höchst frustriert weit rechts der Mitte“
Herr Professor Walter, sind die Anhänger von Pegida Demokraten?
Jenseits des harten ideologischen Führungskerns würden sich viele so sehen. Sie sind ganz entschieden für Volksabstimmungen, glauben inbrünstig an eine wahre "Volksdemokratie" innerhalb eines durch und durch plebiszitären Systems. Das ist das Credo des Populismus schlechthin und überall, wo er in dieser Welt auftaucht. Was sie bekämpfen, ist die Repräsentation, was sie fürchten, ist die Komplexität und Vielfalt moderner und liberaler Gesellschaften. Und sie wollen nichts von der Universalität von Grund- und Menschenrechten wissen.
Wenn die Pegida-Anhänger „das System“ kritsieren, meinen sie damit unser demokratisches, parlamentarisches System?
Sie meinen damit sicher die Parlamentarier der "Systemparteien", wie sie es wohl nennen. Sie meinen damit auch Minister, leitende Beamte, erst recht die Regierungschefs. Aber ihre Attacken zielen auch weiter, bekanntlich gegen Medien, übrigens auch oft gegen Uni-Wissenschaftler und so weiter. Sie alle sind "System", lügen, fälschen, täuschen das eigentliche Volk.
Wie bewerten Sie die Beziehungen der Pegida zur AfD?
Im Laufe der Pegida-Demonstrationen seit November 2014 ist die Zustimmung der Teilnehmer für die AfD rasant gewachsen. Fast alle dort wollen nunmehr diese Partei wählen. Die Zustimmung zur CDU/CSU ist demgegenüber regelrecht eingebrochen. Insofern kann die AfD zur neuen Repräsentantin dieser höchst frustrierten Wähler weit rechts der Mitte werden. Das würde die Partei allerdings weiter nach rechts schieben.
In ihrer Befragung erklären nur 6 Prozent, sie hätten bei der letzten Bundestagswahl SPD gewählt. Heisst das, die sozialdemokratische Anhängerschaft ist weitgehend immun gegen die Propaganda von Pegida?
Interessant ist, diejenigen zu beobachten, die lange sozialdemokratische Anhänger waren, aber seit einigen Wahlen nicht mehr mitmachen. Die haben sich zuletzt nicht neu orientiert, waren und sind parteipolitisch unbehaust. Die halten sich auch jetzt noch zurück. Aber die Geschichte des Rechtspopulismus in Europa der letzten fünfundzwanzig Jahre zeigt unmissverständlich, dass in der zweiten oder dritten Runde Arbeiter und Arbeitslose, die sich enttäuscht von den Sozialdemokratien abgewandt haben, der neuen Rechten folgen könnten.
Den populärsten Politikern der Republik, Bundespräsident Gauck und Kanzlerin, vertrauen die Befragten am wenigsten. Wie erklären Sie sich das?
Im Grunde muss man, wenn man erklären möchte, was da in Dresden eigentlich los ist, auf die Jahre 1990/91 zurückschauen. Da fing alles an: eine riesige Enttäuschung, ja Verbitterung, dass plötzlich alles kaputt ging, was zuvor richtig war und auch sozialen Halt gab. Den großen Versprechungen des damaligen Bundeskanzlers, an die viele euphorisch geglaubt hatten, folgte eine Realität des Berufsverlusts, der fundamentalen Einbußen von Anerkennung und Würde. Seither heißt es: "Lügenpolitiker" und "Lügenpresse". Dass gerade die beiden Vertreter aus dem Osten, Merkel und Gauck, jetzt so besonders „westlich“ reden und Verständnis für das Andere, das Fremde äußern, macht sie den Pegadisten offenkundig zu Verrätern.
Ihre online-Befragung ist nicht repräsentativ. Könnte es sein, dass sich der harte, radikale Kern an so einer Umfrage gar nicht erst beteiligt?
Das ist zumindest nicht unwahrscheinlich, war auch bei der Ausgabe der Fragebögen durch die Mitarbeiter des Göttinger Instituts erkennbar. Aber wir haben diejenigen erreicht, die der Initiative und den Slogans der harten Pegida-Kader nunmehr bereitwillig folgen, diesen Verein ja erst dadurch starkgemacht haben. Ist jedenfalls nicht unwichtig, zu wissen, wie die denken.
Können Sie den demokratischen Parteien aus der Ergebnissen ihrer Analyse eine Empfehlung zum Umgang mit Pegida geben?
Ich mache das jetzt in Bezug auf die SPD: Noch macht die klassische Kernklientel der Partei nicht bei Pegida mit. Damit das so bleibt und sich nicht so deprimierend entwickelt wie in Österreich, in Frankreich, derzeit auch in Großbritannien, sollten die Sozialdemokraten eine hohe Sensibilität für die Alltagslasten dieser Schichten bewahren, besser: neu gewinnen. Aber das darf nicht sozialtherapeutisch bleiben. Es muss politisch werden; und man muss politisch führen. Mit "Wir alle sind Charlie" wird das nicht gehen.