„Passt doch.“: So bewerten die Medien die Einigung bei der Grundrente
Handelsblatt (Gregor Waschinski)
Der Koalitionsausschuss hat entschieden: Der Aufschlag für langjährige Geringverdiener im Alter wird, wie von der SPD gewünscht, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung abgewickelt. Statt der von CDU und CSU geforderten und im Koalitionsvertrag ausdrücklich vorgesehenen Bedürftigkeitsprüfung, sollen künftige Empfänger der Grundrente nur eine Einkommensprüfung durchlaufen müssen.
zeit-online (Ferdinand Otto)
Union und SPD haben sich im Rentenstreit geeinigt. Wer 35 Jahre lang gearbeitet hat, wird ab 2021 mehr Geld bekommen als die Grundsicherung – ein Ansinnen, gegen das wirklich nichts einzuwenden ist und das breiten Konsens genießt, das so ähnlich sogar schon im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2009 stand.
Aus der Bedürftigkeitsprüfung, die der Koalitionsvertrag vorsieht und die die Union unbedingt wollte, die SPD aber nicht, ist im Kompromiss der Koalitionäre nun eine „Feststellung des Bedarfs“ geworden. Heißt: Rentnerinnen und Rentner müssen nicht zum Amt und jedes Sparbuch und jeden Wertgegenstand angeben. Die Prüfung des Einkommens soll vielmehr durch einen automatisierten Datenaustausch zwischen Rentenkasse und Finanzbehörden erfolgen.
spiegel-online (Sebastian Fischer)
Dieser Grundrenten-Kompromiss ist besser als die ursprünglichen Vorschläge, besser als SPD oder Union pur: Wer mehr als drei Jahrzehnte arbeitet und einzahlt, der hat Respekt und eine entsprechende Rente verdient. So wollte es die SPD. Dabei müssen die Einkommensverhältnisse berücksichtigt werden. So wollten es CDU und CSU. Und zur Finanzierung sollen unter anderem die Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionsteuer genutzt werden. Passt doch.
ZDF (Theo Koll)
Beide Koalitionspartner werden Teile der Vereinbarung für sich reklamieren – auch, um sie in den Fraktionen und Parteien durchsetzen zu können. (...) Dennoch gilt ganz klar: Die SPD hat sich stärker durchgesetzt. Sie hat den Kreis der Anspruchsberechtigten aus dem gemeinsam beschlossenen Koalitionsvertrag – damals geschätzt weniger als 150.000 Menschen – glatt verzehnfacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (Gerald Braunberger)
Auf den ersten Blick haben Union und SPD in der Grundrente einen Kompromiss geschlossen, wie er für diese große Koalition typisch ist. Beide Seiten haben nachgegeben, aber der Eindruck bleibt, dass am Ende die Sozialdemokraten mit der Einigung eigentlich etwas glücklicher sein sollten als die Union.
Der Tagesspiegel (Robert Birnbaum)
Das Rentensystem entstand zu einer Zeit, als ein Normalarbeitsverhältnis in der Ausprägung „Vater verdient, Mutter versorgt Küche und Kinder“ als der Normalfall gelten durfte. Auf veränderte ökonomische und gesellschaftliche Großtrends – gebrochene Erwerbsbiografien vor allem im Osten, prekäre Beschäftigung, immer mehr Alleinerziehende mit Halbzeitjobs – war es nicht vorbereitet. Das Grundversprechen unserer Arbeitsgesellschaft, dass der Fleißige mehr bekommt als der Sozialfall mit der Grundsicherung, ließ sich nicht mehr erfüllen. Die Grundrente beseitigt nicht jede echte oder gefühlte Ungerechtigkeit. Aber sie hilft zumindest den Allerbedürftigsten.
taz (Barbara Dribusch)
Sicher, die neue Sozialleistung produziert auch neue Ungerechtigkeiten. (...) Trotzdem oder gerade deswegen ist es richtig und auch durchaus mutig, dass sich die Große Koalition doch noch auf die Grundrente geeinigt hat. Denn so sieht sie eben aus, die Umverteilung in einem komplexen Sozialstaat von heute: Es wird Ungerechtigkeiten, Enttäuschungen geben, Neid, Hetze, Ämterchaos – aber eben auch hunderttausende von Menschen, vor allem Frauen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und von der Grundrente im Alter profitieren. Die vielzitierte Zahnarztgattin wird nicht dabei sein, siehe Steuerprüfung.
Die Grundrente ist also auch ein Großversuch. An ihr entscheidet sich die Frage, ob Umverteilungspolitik, und zwar die reale, nicht die angekündigte oder geforderte, ob also reale Umverteilungspolitik heute überhaupt noch machbar ist.