Paragraf 219a wird abgeschafft: „Dies ist ein schöner Moment“
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Am 26. Mai 1933 trat der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches in Kraft. Darin heißt es wörtlich: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Ein Moment, für den viele gekämpft haben
Das damit gemeinte Werbeverbot führte in der Praxis oftmals dazu, dass Ärzt*innen, die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auf ihren Internetseiten veröffentlichten, juristisch belangt wurden. Bestes Beispiel dafür ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die durch zahlreiche Gerichtsprozesse quasi zur Vorkämpferin der Frauenbewegung in Deutschland wurde. Die SPD setzte sich bereits seit langem für die Abschaffung des Paragrafen 219a ein. In den vorangegangenen Koalitionen mit der CDU/CSU gab es jedoch keine politischen Mehrheiten dafür. Mit der sogenannten Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP ist das nun anders.
Daher wurde am Freitag ein Gesetzesentwurf der Ampelparteien zur ersatzlosen Streichung des umstrittenen Paragrafen in erster Lesung im Bundestag beraten. Entsprechend positiv, fast schon pathetisch fielen die Redebeiträge der beiden SPD-Abgeordneten in der Debatte aus. „Dies ist der Moment, für den so viele Frauen jahrzehntelang auf die Straßen gegangen sind. Dies ist der Moment, für den so viele Ärztinnen und Ärzte gekämpft haben. Dies ist der Moment, in dem wir endlich in das parlamentarische Verfahren zur Streichung von 219a aus dem Strafgesetzbuch eintreten. Dies ist der Moment, der uns Frauen ein Stück weit die Hoheit über unsere Körper zurückgeben wird. Dies ist ein schöner Moment“, sagte Carmen Wegge.
„Manifestation des frauenfeindlichen und patriarchalen Nazi-Regimes“
Sie wies noch einmal auf die Entstehung des Paragrafen hin, der eine „Manifestation des frauenfeindlichen und patriarchalen Nazi-Regimes“ gewesen sei. Der Parafraf 219a sei damit ein gutes Beispiel dafür, dass überall dort, wo rechte Parteien an der Macht sind, Frauenrechte eingeschränkt würden. „Es ist erschreckend, dass es 89 Jahre gedauert hat, um diesen Missstand abzuschaffen“, sagte Wegge. Bei 219a gehe es nicht um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern um das Recht auf Information. „Wir Frauen werden endlich Zugang haben über Informationen, die wir benötigen. Endlich dürfen uns das auch Ärztinnen und Ärzte sagen und nicht irgendwelche Youtube-Stars, für die diese Regelung nicht gilt“, sagte Wegge.
Stellvertretend dankte sie schließlich Hänel und anderen Ärzt*innen für deren jahrelangen Einsatz, um eine Änderung des rechtlichen Status herbeizuführen. Die bayerische SPD-Abgeordnete schloss ihre Rede mit den Worten: „Heute ist ein guter Tag, ein schöner Moment. Gewöhnen Sie sich dran! Wir gehen vorwärts, niemals zurück.“
Breymaier: „Das ist so eine böse Unterstellung“
Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Leni Breymaier, die als zweite Sozialdemokratin in der Debatte sprach, konterte in einem emotionalen Beitrag vor allem die Kritik aus den Reihen der Union. „Dummes Zeug“ sei das, sagte sie und forderte: „Schauen Sie nicht durch ihre konservative Brille, schauen Sie sich die Realität von Frauen an, die eventuell vor einem Schwangerschaftsabbruch stehen! Ich bin froh, dass wir jetzt den 219a endlich streichen,“ Breymaier machte noch einmal deutlich, dass es nicht darum gehe, dass für Schwangerschaftsabbrüche geworben werden solle. „Das ist so eine böse Unterstellung.“
Vielmehr gehe es darum, „dass wir den Frauen die Informationen zukommen lassen wollen, die sie brauchen“, sagte sie und machte klar: „Wir wollen das ungeborene Leben schützen, aber nicht durch Strafandrohung.“ Die heute im Bundestag geführte Debatte stand für Breymaier auch „im Kontext mit Debatten, die in der ganzen Welt geführt werden“. Sie verwies auf die aktuelle Situation in Polen oder in den USA, wo das Recht auf Abtreibung in Gefahr sei. „Hier streiten wir dagegen nur darüber, ob Ärzt*innen ihre Patientinnen informieren dürfen und sonst um nichts“, sagte Breymaier.
23. Juni: Finale Abstimmung
Vor der finalen Entscheidung über die Abschaffung des umstrittenen Paragrafen ist in der kommenden Woche am Mittwoch, dem 18. Mai, eine öffentliche Anhörung, unter anderem mit der Gießener Ärztin Kristina Hänel, dem deutschen Juristinnenbund und Pro Familia geplant. Am 23. Juni soll der Gesetzesentwurd in zweiter und dritter Lesung beraten und somit noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo