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Oppermann: Ohne Debatte keine Akzeptanz für Corona-Regeln

Thomas Oppermann (SPD) kritisiert die Hinterzimmerpolitik bei den Corona-Maßnahmen zwischen Bund und Ländern. Der Bundestagsvizepräsident fordert eine Rückkehr zur Debatte im Bundestag für bessere und verständlichere Regeln.
von Benedikt Dittrich · 22. Oktober 2020
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann fordert mehr Diskussionen über Corona-Regeln im Bundestag.
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann fordert mehr Diskussionen über Corona-Regeln im Bundestag.

Thomas Oppermann, Sie haben mit Blick auf das Beherbergungsverbot wieder mehr Debatten und Mitspracherechte des Bundestags eingefordert. Was soll das bringen?

Ich bin der Meinung, dass die aktuelle Corona-Entwicklung eindeutige Maßnahmen erfordert um das Virus einzudämmen. Die Maßnahmen funktionieren aber nur, wenn sie akzeptiert werden. Ich glaube, die Art und Weise, wie man zu Ergebnissen kommt, beeinflusst diese Akzeptanz. Wer wie die Bundeskanzlerin und die 16 Ministerpräsident*innen hinter verschlossenen Türen etwas wie das Beherbergungsverbot ausbaldowert, sorgt nicht dafür, dass solche Regeln den Menschen einleuchten. Diese Maßnahme hat blankes Unverständnis erzeugt. Zumal diejenigen, die aus Risikogebieten einreisen, nicht automatisch eine Gefahr für Ferienorte an der Nord- oder Ostsee sind. Nach einer offenen Debatte im Bundestag hätte es dieses Verbot vermutlich nicht gegeben.

Mehr Diskussion im Bundestag sorgt doch aber nicht automatisch für mehr Akzeptanz oder klarere Regeln. Auch das Gegenteil ist möglich: Mehr Verwirrung.

Doch! Im Augenblick haben wir im Infektionsschutzgesetz eine Generalklausel, auf die sich die Landesregierungen stützen. Zu Beginn der Pandemie war das richtig und wir brauchen auch in Zukunft eine solche Klausel um in akuten Fällen klare Zuständigkeiten zu haben. Aber für viele Maßnahmen wie zum Beispiel die Sperrstunde in Restaurants und Gastronomie brauchen wir bereichsspezifische Regeln. Das sind Standardmaßnahmen, die der Bundestag diskutieren muss. Das ist eine Frage der Beteiligung und der Rechtsstaatlichkeit. Die Exekutive hat natürlich die operative Zuständigkeit und das Krisenmanagement. Aber der Bundestag programmiert die Exekutive: Er kann genau klären, was wann, wie lange und unter welchen Voraussetzungen von der Exekutive verordnet werden kann. Diesen Schritt müssen wir jetzt gehen. Wir brauchen eine Debatte über die genaue gesetzliche Ermächtigung der Exekutive und eine Generaldebatte um Verständnis und Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Regeln zu erreichen.

Aber trotz Bundestags-Debatte könnte die Auslegung der Gesetze auf Landesebene doch immer noch für Chaos sorgen?

Natürlich haben die Länder bei der Umsetzung der Gesetze einen Interpretationsspielraum. Wenn aber dieser Spielraum notorisch überschritten wird, können Gerichte das ändern. Wir haben mittlerweile dutzende von Entscheidungen, die Corona-Maßnahmen aufheben. Das ist der Beweis, dass der Rechtsstaat funktioniert. Viele der Regeln sind zwar gut gemeint, aber handwerklich einfach schlecht gemacht.

Das ist aber auch wieder eine Sache für eine Generaldebatte im Bundestag: Themen wie die Reisefreiheit in Deutschland müssen zwischen den Ländern einvernehmlich geregelt werden müssen. Sonst verfallen wir in eine Kleinstaaterei. Das ist dann kein gut funktionierender Föderalismus mehr. Dieses Gegeneinander bringt auch die Wirtschaft in noch größere Bedrängnis. Das müssen wir erkennen.

Die Reisefreiheit ist eine der Freiheiten, die in der Corona-Krise eingeschränkt wurde. Ist das auch gleichbedeutend mit einer Einschränkung der Demokratie?

Die Pandemie bringt die größten Beschränkungen von Freiheiten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit sich. Noch nie wurde unsere Freiheit im Alltag so stark eingeschränkt. Das ist nach dem Grundgesetz möglich, muss aber verhältnismäßig sein. Eine überwiegende Mehrheit hat diese Einschränkungen bisher akzeptiert.

Ich mache mir aber schon Sorgen, ob das mit zunehmender Dauer so bleibt. Deswegen plädiere ich für die offene Debatte, die die Akzeptanz wieder erhöhen kann. Die Demokratie sehe ich aktuell nicht in Gefahr.

Die Oppositionsparteien kritisieren, dass es für die Absprachen zwischen Bundeskanzlerin und Ministerpräsident*innen keinen rechtsverbindlichen Rahmen gibt. Teilen Sie diese Kritik?

Nein, das halte ich für abwegig. Unser Föderalismus ist kooperativ und es ist gut, dass die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsident*innen sich abstimmen. Aber die Ergebnisse dieser Diskussionsrunden sind nicht gut. Die grundsätzlichen Fragen müssen einheitlich geregelt werden und es darf da keinen Unterbietungswettbewerb der Länder geben. Das ist nicht im Sinne des Grundgesetzes.

Diese Absprachen ersetzen aber weder die parlamentarische Debatte noch die Notwendigkeit, dass das Parlament mit seinen Gesetzen präzise Voraussetzungen für die Exekutive schaffen muss. Wir haben inzwischen monatelang Erfahrungen mit der Pandemie gesammelt. Deswegen ist es jetzt nicht mehr gerechtfertigt, alle Maßnahmen auf eine uferlose Generalklausel zu stützen.

Die Generalklausel, auf die Sie sich beziehen ist die Erweiterung des Infektionsschutzgesetz des Bundes, die vom Bundestag zu Beginn der Pandemie beschlossen wurde. Hat der Bundestag damals einen Fehler gemacht?

Zu Beginn der Pandemie war es richtig, der Exekutive eine weite Zuständigkeit einzuräumen. Wir hatten ja keine Erfahrungen mit der Pandemie und die Exekutive musste austesten, was hilft. Inzwischen wissen wir aber mehr und deswegen können und müssen wir diese allgemeine Klausel schrittweise durch spezifische Eingriffsregelungen ersetzen.

Medienberichten zufolge starb Thomas Oppermann wenige Tage nach diesem Interview. Der SPD-Politiker wurde 66 Jahre alt.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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