Oppermann: Corona-Krise wird nicht zur Krise der Demokratie
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Thomas Oppermann, die Corona-Krise verändert auch die Arbeit der Abgeordneten des Bundestages. Was ist in dieser Sitzungswoche anders?
Diese Sitzungswoche unterscheidet sich ganz erheblich von normalen Sitzungswochen! Das geht auch gar nicht anders. Denn wenn Abgeordnete aus ganz Deutschland hier im Bundestag zusammenkommen, dann muss alles dafür getan werden, die Infektionsgefahr für sie und ihre Mitarbeiter soweit es geht auszuschließen. Klar ist aber, dass die laufende Sitzungswoche nicht komplett abgesagt werden durfte. Denn der Bundestag muss auch in der Krise handlungsfähig sein. Aktuell heißt das, das von der Bundesregierung beschlossene umfangreiche Hilfspaket auf den Weg zu bringen.
Natürlich werden einige Abgeordnete nicht nach Berlin kommen, weil sie vom Gesundheitsamt unter Quarantäne gestellt wurden, Kontakt zu einer infizierten Person hatten oder einer Risikogruppe angehören. Daher haben die Fraktionen das sog. Pairing verabredet, damit die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben. Das bedeutet, dass für jeden Abgeordneten der Regierungskoalition, der nicht mitstimmen kann, auch ein Abgeordneter der Oppositionsfraktionen nicht abstimmen wird.
Außerdem haben wir die laufende Sitzungswoche deutlich verkürzt. Die eigentlichen Beratungen des Bundestages finden nur am Mittwoch statt. Dann sollen alle von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Corona-Krise vom Bundestagsplenum und den zuständigen Ausschüssen beraten und beschlossen werden. Dabei wird immer darauf geachtet, dass möglichst wenige Abgeordnete gleichzeitig im Plenarsaal und anderen Beratungsräumen zusammenkommen. Namentliche Abstimmungen finden außerhalb des Plenarsaals und über einen längeren Zeitraum statt als sonst üblich.
Ein Problem bei allen Maßnahmen, die weniger Abgeordnete ins Plenum und zu den Abstimmungen zulassen, ist die Beschlussfähigkeit des Bundestages. Wie soll das gelöst werden?
Wichtig ist, dass keinem Abgeordneten die Teilnahme an den Beratungen des Bundestages verwehrt wird. Wer an Sitzungen oder Abstimmungen teilnehmen will, kann das auch tun. Richtig ist aber auch, dass die Abgeordneten für diese Sitzungswoche gebeten wurden, jeweils zu prüfen, ob ihre Anwesenheit wirklich unbedingt erforderlich ist. Auch in normalen Sitzungen des Bundestages sind bei Plenardebatten oft nur diejenigen Abgeordneten im Plenum anwesend, die sich im zuständigen Fachausschuss mit den diskutierten Fragen befassen.
Was die Beschlussfähigkeit betrifft, so ist diese nach § 45 der Geschäftsordnung gegeben, wenn 50 Prozent der Abgeordneten anwesend sind. Allerdings gilt der Bundestag auch als beschlussfähig, wenn weniger als 50 Prozent der Abgeordneten anwesend ist, solange dies von keiner Fraktion angezweifelt wird. Der Bundestag kann also im Prinzip auch dann wirksam Beschlüsse fassen, wenn nur sehr wenige Abgeordnete tatsächlich abstimmen.
Um in der der Corona-Krise auch in kleinerer Formation tagen zu können, ändern wir jetzt die Geschäftsordnung zeitlich befristet so, dass der Bundestag bereits dann beschlussfähig ist, wenn 25 Prozent der Abgeordneten anwesend sind.
Entwickelt sich die Corona-Krise auch zu einer Krise unserer Demokratie?
Nein! Deutschland ist und bleibt eine stabile Demokratie, in der weitreichende Grundrechte garantiert sind. Aber natürlich greifen die jetzt beschlossenen Maßnahmen tief in die Freiheitsrechte der Menschen ein. Umfragen zeigen übrigens, dass die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen mit dieser vorübergehenden Beschränkung einverstanden ist. Denn klar ist auch: die jetzt getroffenen Maßnahmen müssen jeweils zeitlich beschränkt, regelmäßig überprüft und so schnell wie möglich auch wieder zurückgefahren werden. Und das wird auch so passieren!
Aber es besteht die Gefahr, dass die jetzige Krise in Staaten, in denen die Demokratie ohnehin unter Druck steht, dazu genutzt wird, autoritäre und autokratische Tendenzen weiter auszubauen. Ich denke da zum Beispiel an Brasilien, Russland und die Türkei. Und aktuell will Viktor Orban in Ungarn die Befugnisse der Regierung zulasten des gewählten Parlaments erheblich ausbauen.
Es gibt den Vorschlag, das Grundgesetz zu ändern und ein Notparlarment zu schaffen. Was halten Sie davon?
Im Moment nichts! Akute Krisenzeiten eigenen sich nicht dafür, unter Druck Änderungen an unserem Grundgesetz vorzunehmen. Gleichwohl müssen wir aber natürlich feststellen, dass das Grundgesetz zwar in seinem Art. 53a eine Vorkehrung für den Verteidigungsfall trifft, nicht aber für Pandemien oder sonstige Fälle, in denen die Funktionsfähigkeit des Bundestages durch Entwicklungen von außen in Frage gestellt wird.
Ich plädiere daher dafür, nach dem Ende der Corona-Krise in Ruhe darüber zu beraten, welche Anpassungen an unserem Grundgesetz gegebenenfalls vorgenommen werden müssen.
Dabei müssen wir uns aber zwingend auch darüber Gedanken machen, wie der Bundestag die Möglichkeiten der Digitalisierung stärker für seine Arbeit - nicht nur mit Blick auf Katastrophen-Situationen – nutzbar machen kann.
Es sind mittlerweile auch Abgeordnete und Mitarbeiter des Bundestages mit Corona infiziert. Wie sorgt das Parlament für die Sicherheit der noch nicht Infizierten?
Im Bundestag gelten die vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Vorgehensweisen mit Infektions- und Verdachtsfällen. Dies betrifft die Einhaltung eines Mindestabstands und der allgemeinen Hygienevorschriften und schließt natürlich die Ermittlung von Kontaktpersonen sowie die Verhängung von häuslicher – obligatorischer oder freiwilliger - Quarantäne ein.
Darüber hinaus werden in fast allen Bereichen des Bundestages inzwischen die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens maximal ausgenutzt. Auch in der laufenden Sitzungswochen sind nur die Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen im Bundestag anwesend, bei denen das wirklich unabdingbar ist.