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Olaf Scholz: „Wir sollten das Wir stärker in den Vordergrund stellen.“

Der Sturm auf das Kapitol in Washington ist auch eine Warnung für Deutschland, meint SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, brauche es bessere Löhne, aber auch mehr Respekt. Ein Vorbild könnte Alt-Bundespräsident Johannes Rau sein.
von Kai Doering · 10. January 2021
Olaf Scholz: Die Zahl derjenigen, die sich für etwas Besseres halten, nimmt auch in Deutschland zu. Das ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gut.
Olaf Scholz: Die Zahl derjenigen, die sich für etwas Besseres halten, nimmt auch in Deutschland zu. Das ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gut.

Die Stürmung des Kapitols durch radikale Trump-Anhänger zeigt einmal mehr, wie gespalten die US-amerikanische Gesellschaft ist. Was bedeutet das für das deutsch-amerikanische Verhältnis?

Mit dem künftigen US-Präsidenten Joe Bidens ergibt sich für uns die große Chance, ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft aufzuschlagen. Diese Chance sollten wir nutzen. Natürlich bedeutet ein neuer Präsident nicht, dass alle Interessengegensätze sich wundersam in Luft auflösen. Sie werden aber stärker im Geiste gegenseitiger Anerkennung und Kooperation miteinander verhandelt werden. Davon bin ich fest überzeugt, denn uns verbinden gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte.

Was kann Deutschland aus den Entwicklungen in einer der ältesten Demokratien der westlichen Welt lernen?

Sie sind eine Warnung: Eine gespaltene Gesellschaft ist ein Risiko für das demokratische Miteinander. Das zeigt sich in den USA gerade auf sehr erschreckende Weise. Deshalb müssen wir hierzulande nicht nur den Populismus bekämpfen, sondern vor allem dafür sorgen, dass die Gesellschaft zusammenhält. Die SPD ist die Partei, die dafür sorgt, dass Respekt für die Leistungen und das Leben der Menschen eine größere Bedeutung in unserer Gesellschaft bekommt. Das hat mit guten Löhnen zu tun, aber nicht nur.

Wie ist es um den Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland bestellt?

Ich möchte aus meinem sozialdemokratischen Herzen keine Mördergrube machen: Die Zahl derjenigen, die sich für etwas Besseres halten, nimmt auch in Deutschland zu. Das ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gut. Letztlich ist es eine Einstellungsfrage, die aber ganz praktische Konsequenzen hat. Wenn wir der Meinung sind, dass die Beschäftigten, die in der Pflege arbeiten, besser bezahlt werden sollten, dann müssen wir mehr Geld für die Pflege ausgeben. Das sollten wir viel deutlicher ansprechen. Vieles von dem, was uns als Gesellschaft bevorsteht, werden wir nur meistern können, wenn wir solidarisch sind und zusammenhalten. Das stärkt uns auch gegen die scheinbar einfachen Lösungen der Populisten.

Wie wollen Sie denen, die sich für etwas Besseres halten, wie Sie sagen, deutlich machen, dass sie ihr Verhalten ändern müssen?

Schon unsere Sprache ist hier ganz wichtig. Wir sollten das Wir stärker in den Vordergrund stellen. Es geht nicht darum, die Gegensätze stehen zu lassen und sie nur aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, sondern darum, Zusammenhalt zu stiften. Die SPD ist eine politische Partei, in der sich die Theaterdirektorin und der Lagerarbeiter, die Kassiererin und der Oberarzt gemeinsam für etwas einsetzen. Der frühere Bundespräsident Johannes Rau, der in diesen Tagen seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte, hat oft von „Versöhnen statt Spalten“ gesprochen. In unserer Zeit bekommt diese Aussage ein ganz neues Gewicht.

Mit der Verlängerung des Lockdowns stellen sich für viele auch ökonomische Fragen. Wird Deutschland wirtschaftlich gut durch die Krise kommen?

Die Bundesregierung hat früh, schnell und umfassend mit Unterstützungsprogrammen reagiert. Deutschland kommt deshalb gegenwärtig besser durch diese Krise als alle vorhergesagt haben. Wir haben gleich zu Beginn der Pandemie das erste und wohl auch das größte Stabilisierungsprogramm innerhalb der EU aufgelegt. Im Sommer folgte ein umfassendes Konjunkturprogramm. Parallel dazu haben wir die Kurzarbeit aktiviert und später bis Ende dieses Jahres verlängert. Durch die solide Haushaltspolitik der vergangenen Jahre sind wir in der Lage, Gesundheit, Beschäftigung und Unternehmen weiterhin zu schützen. Wichtig ist jetzt, dass wir uns alle an die Regeln halten und unsere Kontakte soweit es irgend geht, verringern, damit die Infektionszahlen zurückgehen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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