Olaf Scholz: Wie seine Mission für Ostdeutschland aussieht
STEFAN SCHAEFER
„Wir müssen die Zukunft anpacken, sie kommt nicht von alleine“, stellt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gleich zu Beginn der Veranstaltung fest, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung mit „#MissionZukunftOst“ überschrieben ist. Ein guter Titel, der es verdiene, sorgfältig gewürdigt zu werden, findet Scholz. „Dass wir im Osten zusammen sind und ich dabei sein darf, ist schön und berührt mich“, sagt Scholz, der Anfang der 90er-Jahre als Fachanwalt für Arbeitsrecht viele Umbrüche in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung begleitete. Durch diese Erfahrungen seien viele Menschen im Osten besser gewappnet für den nun anstehenden Strukturwandel, beispielsweise in der bisherigen Kohleregion Lausitz, ist Scholz überzeugt.
Mission 1: Angleichung des Lohnniveaus
„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es unverändert ein Lohngefälle gibt“, sagt Scholz. Die Menschen in Ostdeutschland verdienen auch mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit durchschnittlich immer noch deutlich weniger als ihre Mitbürger*innen im Westen der Republik. Daher ist der SPD-Kanzlerkandidat überzeugt: „Wir müssen dafür sorgen, dass es im Bereich der unteren Gehälter eine Aufwärtsbewegung gibt.“ Konkret fordert er einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro pro Stunde. Dies würde eine Lohnverbesserung für zehn Millionen Menschen in Deutschland bedeuten, viele davon im Osten.
Scholz argumentiert, dass es jenseits gesetzlicher Regelungen aus Sicht der Unternehmensleitungen nicht nur moralische, sondern auch rationale Argumente für höhere Löhne gebe. Aufgrund des demografischen Wandels steuere Deutschland auf einen Fachkräftemangel zu. „Wir werden erleben, dass sich Unternehmen händeringend nach Fachkräften umsehen“, sagt Scholz. Daher müssten Betriebe, die global wettbewerbsfähig sein wollten, auch gute Löhne zahlen.
Mission 2: Respekt für Lebensleistungen
82 Prozent der Ostdeutschen halten die nicht ausreichende Anerkennung ihrer Lebensleistung für ein wichtiges Thema, referiert der frühere SPD-Chef und Vorsitzende der im vergangenen Jahr von der Bundesregierung eingesetzten Einheitskommission Matthias Platzeck. „Das ist eklatant und eines der großen Defizite“, mahnt er. Zugleich lobt der frühere brandenburgische Ministerpräsident seinen Parteifreund Scholz: „Ich finde es sehr schön, dass Olaf Scholz gesagt hat, was wir tun müssen, um strukturelle Ungleichheiten abzuschaffen und Zukunft in die Hand zu nehmen.“ Den von Scholz in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes gestellten Begriff des Respekts erachtet Platzeck daher auch als zentral.
Dies bekräftigt auch der SPD-Kanzlerkandidat noch einmal. Vieles habe damit zu tun, „wie wir aufeinander schauen innerhalb der Gesellschaft. Ohne Respekt geht es nicht. Man kann gar nicht leben, ohne dass man anerkannt wird, für das, was man gemacht hat“.
Mission 3: Bessere Repräsentanz von Ostdeutschen
Eine Folge des Respekts für Lebensleistungen müsse auch sein, dass Ostdeutsche stärker repräsentiert werden, fordert Platzeck. 80 Prozent der Leitungsfunktionen im Osten Deutschlands seien nicht von Menschen aus dem Osten besetzt, sagt er und mahnt: „Wir müssen sehr genau darauf achten, dass vieles perspektivisch verbessert wird.“ Auch die ZEIT-Journalistin Anne Hähnig spricht von einem „ganz gravierenden Elitendefizit“. Sie kritisiert: „Ostdeutsche schaffen es selten in die Eliten des Landes. Die Zahlen sind derart peinlich, dass es schon fast weh tut, sie zu lesen.“
Olaf Scholz will sich diesem Problem annehmen. Er sagt: „Ich finde gut, dass die Einheitskommission aufgeschrieben hat, was der Fall ist, zum Beispiel, wie wenig es gelungen ist, dass in Führungspositionen Menschen mit ostdeutschen Biografien dabei sind.“
Mission 4: Ostdeutschland als wirtschaftliche Pionierregion
Der Soziologie-Professor Steffen Mau von der Humboldt-Universität Berlin fordert eine zweite Transformation der ostdeutschen Wirtschaft, mit dem Fokus auf erneuerbare Energien und Elektromobilität. Dem stimmt auch Platzeck zu: Er argumentiert, dass die Ursache für einen stabilen Produktivitätsunterschied zwischen West- und Ostdeutschland auch darin begründet liege, dass der Aufbau Ost in der Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung vor allem als Nachbau West gestaltet worden sei. Nun gebe es eine historische Chance staatlicherseits, aus dem Nachbau West einen Vorsprung Ost zu generieren, damit sich die Produktivitätsunterschiede annähern und ausgleichen könnten.
Olaf Scholz bekräftigt ebenfalls, dass Ostdeutschland im Bereich der Elektromobilität, im Ausbau der erneuerbaren Energien und der Weiterentwicklung von Wasserstofftechnologien führend sein könnte. Mit Blick auf das Jahr 2050 sagt er: „Ich wünsche mir, dass es keinen Unterschied in der Wirtschaftskraft gibt, sondern dass es ein Deutschland ist.“ Der SPD-Kanzlerkandidat ist sich zudem sicher, dass es bis dahin mindestens ein DAX-Unternehmen mit Sitz in Ostdeutschland geben werde: „Ich glaube, dass das mit den DAX-Unternehmen in Ostdeutschland klappt, weil es sonst für ganz Deutschland nicht gut ausgeht. Es wird nicht die Verlagerung von Unternehmen sein, sondern es müssen neue, kreative Unternehmensgründungen sein.“
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo