Olaf Scholz: „Jetzt kann der Wahlkampf beginnen.“
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Seit Sonntag sind Sie nun offiziell als Kanzlerkandidat der SPD nominiert. Wie fühlt es sich an, nicht mehr „designiert“ zu sein?
Ich bin froh, dass es nun losgeht. Der Parteitag hat gezeigt, was sich in den vergangenen Monaten bereits abgezeichnet hat: Die SPD geht konzentriert und geschlossen in diesen Wahlkampf. Auf dem Parteitag haben wir unser Programm beschlossen, das sehr konkrete Antworten auf die großen Fragen der Zeit gibt, wie wir mehr Respekt und Anerkennung für die ganz unterschiedlichen Lebensleistungen der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten und wie wir neben dem sozialen auch den technologischen Fortschritt voranbringen, bei Digitalisierung, Klimaschutz, Mobilität und Gesundheit. Und ich freue mich über die große Unterstützung der Mitglieder. Jetzt kann der Wahlkampf beginnen.
Nachdem Sie lange allein im Ring gestanden haben, stehen seit einigen Wochen auch Ihre Gegenkandidaten fest. Hat die Auseinandersetzung damit nun richtig begonnen?
So sehe ich das – das Schattenboxen ist vorüber. Es war richtig, dass wir die Kandidatenfrage frühzeitig geklärt haben. Anders als die Union konnten wir uns in den vergangenen Monaten darauf konzentrieren, verantwortungsvoll zu regieren und parallel dazu unseren Plan für die Zukunft zu entwerfen. Jetzt ist mein Zukunftsplan fertig und ich freue mich darauf, ihn mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren. Das ist mein Verständnis von Wahlkampf: Ein Wettbewerb um die besten Ideen für unser Land.
Sie kandidieren nicht „nur“ um das Kanzleramt, sondern auch als Direktkandidat in Ihrem Wahlkreis in Potsdam. Auch Annalena Baerbock tritt dort an.
Ich wohne seit Jahren in Potsdam, im Wahlkreis 61. Für mich ist es immer wichtig gewesen, dort meinen Wahlkreis zu haben, wo ich lebe, um sicherzustellen, dass ich auch präsent sein kann. Die Arbeit im Wahlkreis ist konkret – man kommt direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch und packt Probleme an, deren Auswirkungen man unmittelbar spürt. Darum geht es in der Politik, darum geht es mir: Probleme zu lösen. Zuletzt hat Manja Schüle den Wahlkreis direkt gewonnen, das habe ich jetzt auch wieder fest vor.
Beschäftigt man sich im Wahlkampf überhaupt viel mit den Kandidierenden der anderen Parteien?
Nein, das ist die Hauptaufgabe der Medien. Ich führe einen positiven Wahlkampf mit guten Ideen für unser Land.
Zurück zu den Themen: Wieso nimmt der Klimaschutz im Zukunftsprogramm der SPD so viel Platz ein?
Der Klimawandel ist eine Tatsache. Zu den größten Herausforderungen der 20er Jahre gehört es, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Das ist eine Frage von richtigen Weichenstellungen und eine Frage von Gerechtigkeit. Die Kosten für den Klimaschutz dürfen nicht einseitig denen aufgebürdet werden, die wenig Geld haben und wenig Chance haben, mit dem Kauf einer neuen Heizung oder eines umweltfreundlicheren Autos ihren CO2-Ausstoß zu verringern. Den Weg in eine klimaneutrale Zukunft müssen alle mitgehen können. Es geht auch ums gesellschaftliche Klima.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Thema auch öffentlich wieder in den Mittelpunkt gerückt.Was muss jetzt beim Klimaschutz passieren?
Beim Klimaschutz haben wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt. Etwa zwei Drittel unseres Stroms wollen wir bis 2030 aus erneuerbaren Quellen beziehen. Bis 2045 wollen wir komplett klimaneutral sein. Dafür müssen wir jetzt die zentralen Entscheidungen treffen, was den Ausbau von Windkraft an Land und auf See, den Ausbau von Solaranlagen angeht. Mal eine Zahl: Um die Ziele zu erreichen, müssen wir nun jedes Jahr fast 1.000 neue Windkraftanlagen bauen – viel mehr als bisher. Es geht also längst nicht mehr darum, nur abstrakt für Klimaschutz zu sein. Sondern tatsächlich etwas für den Klimaschutz zu tun. Solche Projekte gehen selten ab ohne Konflikte, etwa mit Bürgerinitiativen vor Ort. Wer sich aber vor so etwas drückt, um ja niemanden zu verschrecken, bekommt nichts zustande. Deutschland braucht jetzt eine neue Regierung unter Führung der SPD, die tatkräftig die Entwicklung der Infrastruktur vorantreibt.
Es fällt auf, dass Sie CDU und CSU seit einiger Zeit schärfer attackieren. Warum?
Weil es zum Verzweifeln ist, wie die Union die Zukunft unseres Landes durch ihr Zaudern und Zögern aufs Spiel setzt. Ich bin überzeugt: Eine weitere von der Union geführte Regierung würde Deutschland Arbeitsplätze, Wachstum und technologische Leistungsfähigkeit kosten. In den vergangenen Jahren hat die CDU zu viel auf die Töpfchen-Politik gesetzt: Es wurden Reden gehalten, die irgendwie nach Ludwig Erhard klangen, und Fördertöpfe in die Landschaft gestellt. Alles andere sollte sich von allein ergeben. Das reicht aber nicht. Wenn private Unternehmen die Verantwortung für eine öffentliche Infrastruktur übernehmen wie z.B. beim Mobilfunk, muss der Gesetzgeber sehr klar vorgeben, welche Qualität er erwartet. Und man muss Verträge verhandeln, die das glasklar regeln. Da war man in den vergangenen Jahrzehnten, auch aufgrund mächtigen Drucks der Lobbyisten, oft nicht klar genug. Das gilt für die Mobilfunknetze, den Breitbandausbau und die Stromnetze. Meine Kanzlerkandidatur verbinde ich mit dem Versprechen, die nötige Modernisierung der Infrastruktur des Landes zu meiner persönlichen Mission zu machen.
Mit Ihren „Zukunftsgesprächen“ sind Sie gerade digital im ganzen Land unterwegs. Was bewegt die Menschen, mit denen Sie sprechen?
Das ist ganz unterschiedlich, aber immer interessant. Seit Februar habe ich virtuell in unzählige Wohn- und Arbeitszimmer geguckt – an zwei bis drei Abenden in der Woche. Ich war im Allgäu, in Mannheim, in Halle oder auch in Flensburg. Ob wir über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder den Bau von Radwegen sprechen, hängt natürlich davon ab, ob ich auf dem Land oder in der Stadt zu Besuch bin. Davon abgesehen ist es nicht überraschend, dass die Corona-Krise und alle damit verbundenen Fragen viele sehr umtreibt.
Und was antworten Sie darauf?
Dass wir auf einem guten Weg sind und das Ziel in Sicht kommt. Die Impfkampagne nimmt deutlich an Fahrt auf und auch die breit ausgebauten Testkapazitäten zahlen sich aus. Das sind gute Nachrichten. Und so langsam rückt der Gedanke an den Sommerurlaub und an größere Familientreffen näher. Die großen Finanzhilfen, die wir auf den Weg gebracht haben, bringen unser Land wirtschaftlich ganz ordentlich durch die Krise, obwohl Corona natürlich auch eine Belastung ist. Der Konjunktur-Knick ist schwächer ausgefallen als viele befürchtet hatten. Zugleich gehen wir sorgsam mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um – die Staatsfinanzen sind solide. Nach dieser Krise werden wir weniger Schulden haben im Vergleich zu unserer Wirtschaftsleistung als alle anderen G7-Staaten vor der Krise. Klar ist für mich auch: Wir dürfen jetzt nicht knausern und damit die Zukunft unseres Landes aufs Spiel setzen. Die Ausgaben für Investitionen müssen wir weiterhin auf Rekordniveau halten – und auch beim Sozialstaat dürfen wir nichts abknapsen, der hat uns gut durch diese schwere Zeit gebracht.
Denken Sie, Sie werden vor der Wahl auch noch persönlich durchs Land reisen können?
Das hoffe ich doch sehr. Uns allen fehlt doch der direkte Austausch. Wir haben uns zwar zum Glück an die digitalen Formate gewöhnt, aber ich ziehe das persönliche Gespräch und den direkten Kontakt allemal vor. Daraus ziehe ich sehr viel für meine praktische Politik.
Ein gutes Jahr Corona-Pandemie liegt hinter uns, eine Zeit, in der Sie als Finanzminister besonders gefragt waren. Wie motivieren Sie sich, nun noch einen anstrengenden Bundestagswahlkampf zu absolvieren?
Es geht um sehr viel – für unser Land, für die Bürgerinnen und Bürger. Für die Corona-Krise gilt wie für den Wahlkampf: Es ist ein Marathon-Lauf. Und so halte ich es auch für mich. Ich gehe regelmäßig joggen. Das hilft mir gut, den Kopf frei zu bekommen. Am Wochenende versuche ich, immer ein paar Stunden für mich zu haben – und ich koche gerne mit meiner Frau.
Wer kocht für wen?
Da wechseln wir uns ab, ganz nach Lust und Laune.
Sie waren SPD-Generalsekretär, Erster Bürgermeister in Hamburg, Bundesminister in verschiedenen Funktionen und Vizekanzler. Was reizt Sie an der Aufgabe als Bundeskanzler?
Ich habe eine präzise Vorstellung davon, was in Deutschland jetzt passieren muss. Und meinen Zukunftsplan möchte ich umsetzen, entschlossen und zielstrebig. Unser Parteitag hat den Start des Wahlkampfs markiert, das Ziel ist klar: am 26. September das Kanzleramt zu erobern.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.