Olaf Scholz: „Es ist Zeit, dass CDU und CSU sich auf der Oppositionsbank regenerieren.“
Lit:Potsdam / Dirk Bleicker
Die SPD hat diesmal, anders als bei vorigen Wahlkämpfen, früh verkündet, wer sie als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen soll. Sie selbst sprechen von einem „harten Ritt“ bis zum September 2021. Was ist der Vorteil dieser langen Strecke?
Ganz einfach: Die Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt, woran sie mit uns sind. Viele von ihnen interessieren sich doch vor einer Wahl vor allem für drei Fragen: Erstens, wer soll Kanzler werden? Zweitens, traue ich dieser Person zu, unser Land auch durch schwierige Zeiten zu führen? Gerade die Antwort auf diese zweite Frage ist sehr wichtig, denn viele wichtige Entscheidungen, die Regierungen in den letzten Jahrzehnten treffen mussten, waren nie Thema im Wahlkampf, weil sie nicht vorhersehbar waren – das beste Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie, von der 2017 niemand etwas ahnen konnte. Und die dritte Frage lautet: Welchen Plan haben die Partei und der Kandidat, um unser Land durch die nächsten Jahre zu führen? Klar ist jetzt: Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat – und jetzt haben wir mehr als ein Jahr Zeit, die Bürgerinnen und Bürgern von uns und unseren Konzepten zu überzeugen.
Wird der Wahlkampf die Arbeit der Bundesregierung nicht überschatten?
Nein, auf absehbare Zeit wird unsere Hauptaufgabe darin liegen, in der Koalition mit der Union unser Land durch die Corona-Krise zu steuern. Die gesundheitlichen Herausforderungen sind längst nicht bewältigt, die wirtschaftlichen und sozialen auch noch nicht. Wir kämpfen um Arbeitsplätze und Unternehmen. Und wir beobachten genau das weitere Pandemie-Geschehen. Das wird auch noch eine ganze Zeit lang so bleiben und uns vieles abverlangen. Zugleich werden wir aber diese Zeit nutzen, die Bürgerinnen und Bürger von dem zu überzeugen, was uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und mir als Kanzlerkandidat der SPD wichtig ist. Während die anderen Parteien damit beschäftigt sein werden, ihre Spitzenkandidaten zu küren, werden wir deutlich sagen, was ich als Kanzler verändern will und worum es in den kommenden Jahren geht.
Die Partei hat sich nach der frühen Nominierung sehr geschlossen hinter Sie gestellt. Was bedeutet Ihnen das?
Das trägt mich. Bundeskanzler kann man nur werden, wenn die Partei, für die man antritt, hinter einem steht. Die SPD hat immer eine große Bandbreite umfasst. Viele erinnern sich noch an die Zeit mit Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt, die nicht in allem einer Meinung waren, aber immer zusammengehalten haben. Das gelingt uns jetzt wieder. Ich bin überzeugt, wir werden die Bürgerinnen und Bürger mit unserer Geschlossenheit überraschen und überzeugen. Und wir werden deshalb auch erfolgreich sein und die nächste Bundesregierung führen.
Brandt, Wehner und Schmidt: Gibt es jemanden, an dem Sie sich mit Ihrer Politik orientieren?
Nein. Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten. Natürlich haben mich diese drei sehr beeindruckt. Genauso gerne erinnere ich mich an den Moment, als wir die Bundestagswahl 1998 gewonnen haben und die rot-grüne Koalition den Mief der Kohl-Jahre vertrieben hat. Insofern werde ich alles dafür tun, dass wir mit einer solchen Begeisterung die nächste Wahl gewinnen. Es ist Zeit, dass CDU und CSU sich auf der Oppositionsbank regenerieren.
Rot-Grün war 1998 ein echter Aufbruch für das ganze Land. Wie könnte ein Aufbruch 2021 aussehen?
Die Corona-Krise wird ja hoffentlich im Herbst nächsten Jahres weitgehend überwunden sein – gesundheitlich und wirtschaftlich. Aber es wird um die Frage gehen, wie wir mit den Corona-Folgen umgehen werden. Ungeachtet von Corona stehen wir am Beginn einer neuen Ära: Die 20er Jahre werden entscheidend sein für die weitere Zukunft: Wir müssen unser Land modernisieren. Für die SPD sind dabei aus meiner Sicht drei Themen zentral: Wir setzen uns ein für eine Gesellschaft, die von einer Haltung des Respekts füreinander geprägt ist. Wir formulieren ein Zukunftsprogramm, das die Weichen für die Technologien des 21. Jahrhunderts, für gute Arbeitsplätze und für CO2-neutrales Wirtschaften stellt. Und wir gestalten ein souveränes und solidarisches Europa, damit wir nicht herumgestoßen werden in der Welt.
Wie sieht eine „Respektgesellschaft“ aus?
Wenn jemand, der als ungelernter Arbeiter in einem Warenlager arbeitet, und jeden Tag sein Bestes gibt, nicht die gleiche Anerkennung genießt wie jemand, der studiert hat und ein sehr gutes Einkommen hat, dann zerfällt unsere Gesellschaft. Das halte ich für das große Problem unserer Zeit. Darauf müssen wir eine Antwort geben. Meine Antwort lautet: Wir sind die Partei, die für den Respekt untereinander eintritt, die möchte, dass unterschiedliche Lebenswege als gleichwertig gesehen werden – und die gleichzeitig auch sagt, dass sich Anerkennung in guten und stabilen Arbeitsverhältnissen, in ordentlichen Löhnen und im guten Leben niederschlagen muss. Mein Ziel ist es, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger – egal wie groß ihr Vermögen ist, egal, wie hoch ihr Einkommen ist, egal, wie unterschiedlich ihre Ausbildungen und ihre Berufe sind – miteinander für gesellschaftlichen Zusammenhalt einstehen, der auf diesem Respekt gründet.
Mit welchem Partner wollen Sie die nächste Koalition schließen?
Bundestagswahlen finden nicht statt, um den nächsten Koalitionspartner der Union zu suchen. Sie finden statt, um die Richtung unseres Landes zu bestimmen. Die Macht der Bürgerinnen und Bürger wird bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr so groß sein wie niemals zuvor – weil aller Voraussicht nach mehr Parteien in den nächsten Bundestag einziehen werden als in früheren Jahren und vermutlich auch die größte Partei des nächsten Bundestages deutlich weniger Sitze haben wird als vor 20 Jahren. Die Karten werden also völlig neu gemischt. Deshalb ist es wichtig, der Partei die Stimme zu geben, von der man will, dass sie den Kanzler stellt. Wir werben dafür, das Kreuz bei der SPD zu machen. Denn das ist die Grundlage dafür, dass eine Regierung gebildet werden kann, die für Fortschritt steht. Ansonsten wird es natürlich auch von den anderen Parteien abhängen, was möglich ist.
Nach dem Arbeitsminister und dem Hamburger Bürgermeister haben die Menschen in der Corona-Krise nochmal einen anderen Olaf Scholz kennengelernt, den Krisenmanager. Was macht diese Rolle für Sie aus?
Na, in all meinen Ämtern hatte ich häufiger mit Krisen zu tun. Es ist wichtig, in solchen Situationen die Ruhe zu bewahren und einen Plan zu haben, wie man durch die Krise kommen will. Entschlossenheit, Erfahrung und Mut gehören auch dazu.
Ist dieser Nimbus des Krisenmanagers ein Vorteil gegenüber Mitbewerbern – wer auch immer sie sein werden?
Die SPD hat bei der nächsten Bundestagswahl eine gute Ausgangslage. Denn die Corona-Krise hat nochmal deutlich gemacht, dass das, wofür unsere Partei am meisten steht, in diesem Land gebraucht wird, nämlich Solidarität. Es ist zudem eine Bundestagswahl, in der das erste Mal seit 1949 nicht ein Kanzler oder eine Kanzlerin zur Wahl steht, die das Amt schon ausübt. Und wenn der Kandidat der SPD die meiste Erfahrung mit den Herausforderungen des Regierungsgeschäfts hat, schadet das sicher nicht.
Sie haben sich mal als „geborenen Sozialdemokraten“ bezeichnet. Was bedeutet Ihnen die Kanzlerkandidatur für Ihre Partei?
Es ist eine große Ehre, dass unsere Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mich vorgeschlagen haben. Für einen Politiker ist das ein ganz besonderer demokratischer Moment und für einen Sozialdemokraten, der im Herbst dieses Jahres 45 Jahre SPD-Mitglied sein wird, allemal.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.