Inland

Olaf Lies: „Es wird Zeit für ein Einwanderungsgesetz!"

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies will Flüchtlinge schnell in Arbeit bringen, denn „Arbeit und Ausbildung sind ein wichtiger Schlüssel zur Integration.“ Im Interview erklärt er, warum wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen.
von Vera Rosigkeit · 20. Oktober 2015
Olaf Lies
Olaf Lies

Seit Anfang des Jahres haben Asylbewerber und Geduldete schon nach drei Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt und die Vorrangprüfung wurde gelockert. Reichen diese gesetzlichen Maßnahmen aus, damit eine Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann?

Die Verkürzung der Wartefrist für Asylsuchende und Geduldete war ein wichtiger Schritt, um die Voraussetzungen für ihre frühzeitige Arbeitsmarktintegration zu schaffen. Deshalb haben wir direkt nach Jahresbeginn mit den Planungen unseres Projektes "Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen" reagiert, um die Vorteile der Rechtsänderung für die Zielgruppe möglichst umgehend ausschöpfen zu können. Allerdings reichen die neuen Arbeitsmarktregeln aus dem letzten Jahr nicht aus.

Hier ist die Schaffung von Möglichkeiten der legalen Arbeitsmigration für Angehörige der sogenannten "Westbalkanstaaten" von großer Bedeutung. Auch die Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit, die in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts von Flüchtlingen vor der Annahme eines Jobangebots erforderlich ist, sollte hinterfragt und probeweise für zwei Jahre abschafft werden. Auch die Ausgestaltung des Aufenthaltsrechts für Flüchtlinge, die eine Ausbildung begonnen haben, kann noch weiter verbessert werden. Und last but not least: Es wird Zeit für ein Einwanderungsgesetz! Aber bei allen notwendigen Bemühungen zur Integration von Flüchtlingen oder Asylbewerbern dürfen wir dabei nicht nachlassen, die schon hier lebenden Menschen weiter verstärkt in Arbeit zu bringen.

Sie haben in Niedersachsen das Projekt "Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen" gestartet, um möglichst schnell die beruflichen Qualifikationen von Flüchtlingen zu erfassen. Warum ist Ihnen die frühe Beratung so wichtig?

Das Projekt setzt ein Zeichen und sendet ein Signal an alle Menschen, die hierher nach Deutschland kommen: Ihr seid hier willkommen und ihr könnt euch hier in unsere Gesellschaft einbringen, mit euren Fähigkeiten, Kompetenzen und Stärken. Dieses Zeichen wollen wir gleich am Anfang setzen. Unser Angebot ist sehr niederschwellig. Es ist freiwillig und wir sind direkt vor Ort in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Ziel des Projektes ist es, die Potenziale und Kompetenzen von Flüchtlingen und Asylbewerbern frühzeitig zu erkennen und ihnen damit auch Chancen auf Beschäftigung in Niedersachsen zu eröffnen. Damit leisten wir auch einen Beitrag zur Integration. Denn wir sind davon überzeugt, dass Arbeit und Ausbildung ein wichtiger Schlüssel zur Integration sind.

Was sind ihre ersten Erfahrungen aus diesem Projekt? Lässt sich schon sagen, welche Qualifikationen Flüchtlinge mitbringen und wie sie mit diesen in den Arbeitsmarkt integriert werden können?

Das Projekt ist im Juli 2015 in Kooperation mit der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit gestartet. Mit Ablauf des Monats September haben bereits über 400 Personen die Kompetenzfeststellungsgespräche mit den Vermittlungsfachkräften der Bundesagentur für Arbeit geführt. Es sind auch schon die ersten Vorsprachen bei den lokalen Arbeitsagenturen bzw. Jobcentern nach Zuweisung an die Kommunen erfolgt. Diese Folgetermine sind entscheidend, um mit Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung beginnen zu können. Hier stehen wir noch am Beginn des Prozesses und warten selber gespannt auf weitere Informationen.

Welche Chancen haben diejenigen, die über wenig oder gar keine Qualifikation verfügen? Brauchen Sie spezielle Angebote?

Es ist wie immer am Arbeitsmarkt: Je besser die Qualifikation, desto größer die beruflichen Perspektiven. Allerdings gibt es auch bei den gut qualifizierten Asylsuchenden und Flüchtlingen Sprachbarrieren, die wir ganz schnell abbauen müssen, da die wenigsten Deutsch können. Hinzu kommen die soziale Integration und häufig die medizinische Versorgung, beispielsweise im Fall von Traumatisierung durch die Erlebnisse in ihrem Heimatland oder auf der Flucht. Für Geringqualifizierte stehen grundsätzlich die Qualifizierungsinstrumente der Arbeitsagenturen bzw. der Jobcenter zur Verfügung. Insofern bestehen nahezu dieselben Fördermöglichkeiten wie für Inländer. Hier werden wir jedoch in Hinblick auf die überragende Bedeutung von Sprachkenntnissen für die Arbeitsmarktintegration darauf achten müssen, dass wir Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen möglichst effektiv mit Sprachbausteinen verknüpfen.

Birgt die Debatte um schnelle Arbeitsmarktintegration die Gefahr, dass nur die Asylbewerber willkommen sind, die auch gebraucht werden?

Nein, damit rechne ich nicht. Denn nach wie vor hat unser Asylrecht den Zweck, Menschen Schutz vor staatlicher Verfolgung und Gewalt zu gewähren. Diesen Flüchtlingen zusätzlich zeitnah sinnvolle Beschäftigung und Integrationschancen über die Arbeit zu bieten, ist für beide Seiten ein Gewinn.

Sie plädieren für ein Zuwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Warum?

Die neusten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen wieder einmal deutlich, dass unsere Bevölkerung und damit die Erwerbspersonen in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen werden. Das bedeutet, dass wir für den Erhalt unseres Wohlstandes immer stärker auf bislang nicht ausreichend genutzte Arbeitsmarktreserven zurückgreifen müssen.  Hierzu gehören auch Zuwanderer aus den sogenannten Drittstaaten, da wir uns nicht ständig auf die aktuell hohen Zuwanderungszahlen aus den EU-Staaten verlassen können. Um flexibel auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts reagieren zu können, benötigen wir intelligente Instrumente, die eine gesteuerte Zuwanderung ermöglichen.

Diese Hoffnung verbinde ich mit einem Zuwanderungsgesetz, das nebenbei das mittlerweile unüberschaubare Dickicht an Regeln für Ausländer vereinheitlichen und damit das klare Signal einer Willkommenskultur aussenden würde. Wir dürfen nicht vergessen: In einer globalisierten Welt stehen wir mit vielen anderen attraktiven Staaten im Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Darüber hinaus müssten wir auch einen „Spurwechsel“ vom Asylverfahren in die Arbeitsmigration ermöglichen. Dann könnten nämlich schon hier lebende Menschen, die zwar keine Chance auf Asyl haben, aber entsprechende Qualifikationen mitbringen, leichter den Weg ins Arbeitsleben finden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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