NSU-Prozess: Zschäpe sollte die "harmlose Legende" liefern
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Beate Zschäpe muss "lebenslang" hinter Gitter. Das entschied jetzt das Oberlandesgericht (OLG) München im sogenannte NSU-Prozess. Vier weitere Angeklagte erhielten als NSU-Unterstützer Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren.
Vorbereitete Bekennervideos
Das OLG ging davon aus, dass die rechte Terrorgruppe NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) aus drei Personen bestand: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Gruppe habe sich 1998 gegründet, um Anschläge zu begehen, die die Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch den Staat einschüchtern sollten. Insgesamt gingen zehn Morde auf das Konto des NSU. Opfer waren neun türkisch- oder griechisch-stämmigen Kleingewerbler sowie eine Heilbronner Polizistin. Die Terroristen töteten die arglosen Opfer in der Regel in ihrem Laden durch heimtückische Schüsse mit einer Ceska-Pistole mitten ins Gesicht. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge in Köln - auf ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse und auf Passanten in der Keupstraße. Dort kam es nur durch Zufall nicht zu Todesopfern, aber zu vielen Verletzten. Das OLG sah darin Mordversuche.
Ihren Lebensunterhalt finanzierte die Terrorgruppe durch insgesamt 15 Raubüberfälle auf Supermärkte, Postfilialen und Sparkassen. 2011 wurden Mundlos und Böhnhardt nach einem Überfall in Eisenach von der Polizei entdeckt, Mundlos erschoss darauf zuerst Böhnhardt, dann sich selbst. Kurze Zeit später steckte Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand (was als weiterer versuchter Mord an einer Nachbarin gilt) und verschickte vorbereitete Bekennervideos.
Tatort ausgespäht
Das Gericht ging von einer Mittäterschaft Zschäpes an all diesen Taten aus. Sie wurde also nicht nur als Mitglied einer terroristischen Vereinigung verurteilt und auch nicht nur als Gehilfin der Männer. Zschäpe habe sich vielmehr gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt entschlossen, "Menschen aus rassistischen Gründen oder als Repräsentanten des Staates" zu töten. Zwar sollten die Taten vor Ort von den "sportlich durchtrainierten Männern" begangen werden. Zschäpe habe aber auch "wesentliche und unverzichtbare Tatbeiträge" geliefert, so der Vorsitzende Richter Manfred Götzl in seiner knapp vierstündigen Urteilsbegründung.
Einerseits wurden Zschäpe verschleiernde und logistische Tätigkeiten zur Last gelegt. So sollte sie nach außen eine "harmlose Legende" liefern. Sie besorgte falsche Ausweise und "Kommunikationsmittel" auf falsche Namen. Sie war an der Verwaltung der Gruppenfinanzen beteiligt und an der Beschaffung einer Waffe. Auch die Ausspähung möglicher Tatorte habe sie mindestens einmal übernommen (an einer Berliner Synagoge). Eine besonders wichtige Rolle kam Zschäpe aber im Fall eines missglückten Überfalls oder Anschlags zu. Mundlos und Böhnhardt wollten dann Suizid begehen, während Zschäpe sogleich die vorbereiteten Bekenner-Videos verschicken sollte. Deshalb musste Zschäpe während solcher Verbrechen immer zu Hause oder in der Nähe der Wohnung bleiben. Laut OLG gingen die Terroristen davon aus, dass sie besonders große Angst und Verunsicherung erzeugen können, wenn sie die Ceska-Mordserie erst im Nachhinein für sich und ihre nationalsozialistischen Ziele reklamieren.
Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen
Götzl erinnerte daran, dass der Bundesgerichtshof (BGH) für Mittäterschaft weder Anwesenheit am Tatort noch Beteiligung am Kerngeschehen verlangt. Es komme vielmehr auf eine "wertende Gesamtbetrachtung" vieler Kriterien an. Nach Ansicht des OLG waren Zschäpes Tatbeiträge von "essentieller Bedeutung" und "nicht von untergeordneter Natur". Angesichts der vielen Morde stellte das Gericht bei Zschäpe zudem eine "besondere Schwere der Schuld" fest, damit ist eine Entlassung nach 15 Jahren faktisch ausgeschlossen. Es wird wohl auf eine Mindestverbüßungszeit von über zwanzig Jahren hinauslaufen. Auf eine anschließende Sicherungsverwahrung für Zschäpe verzichtete das OLG. Aus der lebenslangen Freiheitsstrafe werde sie ohnehin erst entlassen, wenn von ihr keine Gefahr mehr ausgeht.
Während Götzl den Mord an dem Kasseler Halil Yozgat erwähnte, begann dessen Vater mit verzweifelter Stimme auf arabisch religiöse Formeln zu rufen. Götzl reagiert einigermaßen souverän: "Herr Yozgat seien Sie bitte ruhig. Sonst muss ich Maßnahmen ergreifen, was ich nicht möchte." Der aufgewühlte Vater schwieg fortan.
Revision angekündigt
Verurteilt wurden auch vier weitere Angeklagte. Die höchste Strafe mit zehn Jahren erhielt der ehemalige NPD-Funktionär Ralf W. Er soll gemeinsam mit dem damals 20-jährigen Carsten S. die Ceska-Tatwaffe beschafft haben. Damit habe er sich der neunfachen Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. W. hatte dies immer bestritten, war aber von S. schwer belastet worden. S. erhielt eine dreijährige Jugendstrafe, ebenfalls wegen Beihilfe zu Mord. Er sei damals noch unreif gewesen und habe später durch sein Geständnis zur Auklärung beigetragen.
Die größte Überraschung war, dass André E., für den die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Freiheitsstrafe gefordert hat, doch nur zu zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Das OLG sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei. E. hatte für das Trio zwischen 2000 und 2003 drei mal ein Wohnmobil angemietet, das Mundlos und Böhnhardt bei Mordanschlägen verwendeten. Das Gericht war aber nicht davon überzeugt, dass E. von den Plänen wusste. Er sei aber wohl erst ab 2007 in die Mordpläne gewesen, weshalb die Überlassung einer Bahncard 2009 als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gewertet wurde. E. wurde deshalb postwendend aus der U-Haft entlassen. Als Unterstützer wurde schließlich Holger G., ein Jugendfreund des Trios, zu drei Jahren verurteilt. Er hatte Böhnhardt Pässe, Führerschein und AOK-Karte überlassen.
Die Verteidiger von Zschäpe wollen gegen die Verurteilung ihrer Mandantin Revision zum Bundesgerichtshof einlegen. Das gleiche kündigten Nebenkläger-Anwälte gegen den teilweisen Freispruch von E. an.