Inland

NSU-Prozess vertagt

von Hendrik Puls · 6. Mai 2013

Vor dem Oberlandesgericht München (OLG) begann heute der Strafprozess gegen Beate Zschäpe sowie vier Unterstützer der Neonazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Den ersten Prozesstag dominierten die Anwälte der Verteidigung: Sie stellten die Unbefangenheit des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl und dessen Kollegen in Zweifel.

Mit zwanzig Minuten Verspätung betreten die Richter den Saal. Sie sitzen den Nebenklägern und ihren Anwälten gegenüber, die am anderen Ende des engen Raumes Platz genommen haben. Über 50 Nebenklage-Anwälte sind erschienen, viele sind in Begleitung ihrer Mandantinnen und Mandanten. 

Aus Dortmund angereist sind die Ehefrau und die Tochter des Kisokbesitzers Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 in seinem Geschäft in der Dortmunder Nordstadt erschossen wird. Die Nordstadt gilt in den Augen der Neonazis als Migrantenviertel, ebenso wie die Kölner Keupstraße, wo 2004 eine Nagelbombe explodierte und 22 Menschen zum Teil schwer verletzte. Auch aus der Keupstraße sind Betroffene zum Prozessauftakt nach München gereist. 

Für sie alle ist es das erste Mal, dass sie der mutmaßlichen Mittäterin Beate Zschäpe gegenüber stehen. Zwar kann die Bundesanwaltschaft der Neonazi-Aktivistin nicht nachweisen, sich an einem der Tatorte aufgehalten zu haben, sie sei als NSU-Gründungsmitglied aber mittäterschaftlich an den Morden und Bombenanschlägen beteiligt gewesen. Außerdem wird ihr die Mittäterschaft an 15 Raubüberfällen sowie die Brandstiftung an ihrer Zwickauer Wohnung vorgeworfen. Zschäpe betritt den Gerichtssaal in Begleitung ihrer drei Anwältinnen und Anwälte. Sie sieht blass aus, wirkt aber selbstsicher. In lockerer Runde steht sie vor Verhandlungsbeginn mit den Verteidigern zusammen und bespricht sich mit ihnen. Den Nebenklägern dreht sie den Rücken zu, sieht sie nicht an. 

Zu Beginn der Verhandlung stellt das Anwaltsteam von Beate Zschäpe einen prozessualen Antrag: Sie zweifeln die Unbefangenheit des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl an. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl verliest das Ablehnungsgesuch seiner Mandantin, das dem Gericht am Samstag Abend per Fax zugestellt wurde. Stahl sieht in den vom OLG angeordneten Durchsuchungen der Rechtsanwälte eine „offene Diskriminierung der Verteidiger“, da andere Prozessbeteiligte wie Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizbedienstete und Polizisten von diesen Durchsuchungen ausgenommen seien. 

Das Gericht begründete die Anordnung mit der besonderen Gefährdungslage. Die Rechtsanwälte könnten dazu genötigt werden, gefährliche Gegenstände in den Saal zu schmuggeln. Nach Ansicht von Zschäpes Verteidigern sei es eine „völlig absurde Annahme“ zu glauben, dass Polizisten nicht ebenfalls erpressbar seien. Auch die Gefahr, dass ihnen Gegenstände unbemerkt zugesteckt werden könnten, bestehe bei allen Prozessbeteiligte. Eine Differenzierung zwischen Anwälten und anderen Prozessbeteiligten sei nicht nachvollziehbar, so Stahl.

Die Nebenklagevertreter reagieren teilweise mit Unverständnis auf den Antrag. „Die Verhandlung soll verzögert, die Qual der Opfer verlängert werden“, erklärte Eberhard Reinecke aus Köln. Er stört sich am Timing des Antrags. Dieser sei mit Absicht erst am Samstag gefaxt worden, um jetzt „so einen Bohei“ veranstalten zu können. Tatsächlich führen Verteidigung und Gericht seit Wochen eine Auseinandersetzung um die Durchsuchungen. Der letzte ablehnende Vermerk des OLH ist datiert vom 12. April.

Das Gericht stellt den Befangenheitsantrag zurück und setzt die Verhandlung fort. Daraufhin stellt Olaf Klemke - er verteidigt den Neonazi Ralf Wohlleben - den nächsten Befangenheitsantrag. Klemke redet fast zwei Stunden, um sein Vorgehen zu begründen. Er wirft Götzl vor, einen dritten Pflichtverteidiger für Wohlleben abgelehnt zu haben. Zwei Rechtsanwälte könnten aber aufgrund des umfangreichen Aktenmaterials keine faire Verteidigung gewährleisten. Klemke bemängelt außerdem, dass Briefe von Wohlleben beschlagnahmt wurden, weil Götzl auf den Kuverts Hakenkreuze erkannt haben will.

Nach siebenstündiger Verhandlung endet der Prozesstag mit einer Vertagung auf den 14. Mai. Die für Dienstag und Mittwoch angesetzten Termine entfallen. Rechtsanwältin Edith Lunnebach - sie vertritt die Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Propsteigasse - kann die Entscheidung des Gerichts nicht nachvollziehen. „Man hat den Eindruck, dass das Gericht keinen Wert darauf legt, dass die Opfer und Angehörigen teilnehmen.“ Es sei in Staatsschutzprozessen üblich, dass Befangenheitsanträge gestellt würden. Das Gericht hätte sich vorbereiten und schnelle Entscheidungen herbeiführen können. „Ohne ein Wort des Bedauerns werden die Leute nun vom Gericht wieder nach Hause geschickt“. 

Wenn der Prozess am 14. Mai fortgesetzt wird, ist mit weiteren Verzögerungen zu rechnen. Die Zschäpe-Verteidiger haben zwei weitere Anträge angekündigt.

Autor*in
Hendrik Puls

ist Soziologe. Er arbeitet für die "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im RB Köln" und als freier Journalist. Zuletzt erschien von ihm im Verlag Edition Assemblage die Studie "Antikapitalismus von rechts? Wirtschafts- und sozialpolitische Positionen der NPD".

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