Inland

NSU-Prozess: Die doppelte Zschäpe

von Thomas Horsmann · 11. Oktober 2013

Für die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, lief die 17. Verhandlungswoche gut: Eine Belastungszeugin erwies sich als wenig glaubwürdig. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben jedoch wird durch die Aussagen von Carsten S. weiter belastet.

Diese Zeugin hätte eine Wende im NSU-Prozess bedeuten können. Doch Veronika von A. hat sich wohl getäuscht. Sie hatte vergangene Woche ausgesagt, 2006 auf einem Nachbargrundstück in Dortmund Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erkannt zu haben. Das Brisante daran: Die Zeugin wollte das NSU-Trio wenige Tage vor dem Mord an Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 gesehen haben. Das wäre das erste Mal gewesen, dass Beate Zschäpe nachweislich in der Nähe eines Tatorts gesehen wurde.

Doch die Vernehmung des Grundstückbesitzers Thomas D. legte eine andere Sichtweise nah. D. konnte recht plausibel erklären, was in seinem Garten in dieser Zeit passierte. Seine Frau sehe Beate Zschäpe ähnlich. Sein Schwager könne leicht mit einem der Uwes verwechselt werden. Ein Freund, der ihm immer wieder bei Gartenarbeiten helfe, habe kurz geschorene Haare. Kurz, alles Verdächtige, was die Nachbarin bemerkt haben wollte, stellte sich als harmlos heraus. Es blieb allerdings unklar, ob Thomas D. etwas mit der rechten Szene zu tun hat. Doch diese Zweifel reichten nicht aus, um seine Aussage zu erschüttern.

Beate Zschäpe ist dadurch erst einmal wieder ein wenig entlastet. Allerdings verfolgt Richter Manfred Götzl eine weitere Spur. Auf den Überwachungsvideos der Kölner Keupstraße, wo am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe explodiere, könnte neben Mundlos und Böhnhardt auch Zschäpe zu sehen sein. Die Videos sollen deshalb noch einmal überarbeitet und ihre Qualität verbessert werden, um dies zu klären.

Die gefühlte Wahrheit von Carsten S.

Für den Mitangeklagten Ralf Wohlleben lief die Prozesswoche dagegen nicht so günstig ab. Er dürfte sich große Hoffnungen gemacht haben, dass die belastenden Aussagen seines ehemaligen Kameraden Carsten S. erschüttert werden können. Der hatte nämlich vor Gericht berichtet, dass Wohlleben das untergetauchte NSU-Trio unterstützt und dafür gesorgt habe, dass es die spätere Tatwaffe, eine Ceska 83, bekommen habe. Wohlleben habe S. beauftragt, die Waffe zu kaufen und ihm dafür auch das Geld gegeben. Die Waffe habe er dann auf Anweisung von Wohlleben nach Chemnitz zum NSU-Trio gebracht.

Zunächst hatte sich S. nach seiner umfangreichen Aussage geweigert, die Fragen der Wohlleben-Anwälte zu beantworten. Als Grund nannte er damals, dass Wohlleben im Prozess schweige, während er sich „nackig“ mache. Doch vor drei Wochen änderte Carsten S. seine Meinung und nun durften die Wohlleben-Verteidiger Olaf Klemke und Nicole Schneiders den Belastungszeugen in die Zange nehmen.

Doch obwohl sie es mit allen Regeln der Kunst versuchten, S.’ Aussagen unglaubwürdig klingen zu lassen, gelang es ihnen letztlich nicht. Das mag daran liegen, dass Carsten S. sich meist nicht an Fakten erinnern konnte, sondern an Gefühle und Bilder. So wusste er, dass er das Geld für die Beschaffung der Ceska 83 von Wohlleben erhalten habe, konnte sich aber nicht an die Umstände oder ein Gespräch darüber erinnern. „Und woher wissen Sie dann, dass Herr Wohlleben Ihnen das Geld gegeben hat?“, fragte Klemke. Antwort von S.: „Ich weiß es einfach, weil: Ich hatte das Geld ja nicht.“ Typisch waren auch Sätze von S. wie: „Ich gehe davon aus, dass...“, „Ich sehe da nur ein Bild vor mir...“, „Ich habe das Gefühl, dass...“ oder „Ich habe nicht den genauen Wortlaut, aber...“. Obwohl die Aussagen von S. so schwammig waren, wirkten sie glaubwürdig und er erschien sehr darum bemüht, an der Aufklärung des Geschehens mitzuarbeiten.

Ex-Bundeskanzler Schröder war offenbar im Visier der NSU

Die 17. Verhandlungswoche endete mit einem spannenden Beweisantrag der Nebenklage. Sie möchte elf Seiten einer „Geburtstagszeitung“ für André K., einen führenden Jenaer Rechten, in den Prozess einführen. Die vor Ausländerhass strotzenden Blätter hatten Wohlleben und seine Freundin ihrem Kameraden K. geschenkt. Darin findet sich eine „Todesliste“ mit Namen wie Ignatz Bubis, Joschka Fischer und Gerhard Schröder.

Auch auf den Computern und DVDs, die im Brandschutt des Zwickauer NSU-Verstecks gefunden wurden, war der damalige Bundeskanzler als mögliches Ziel von Anschlägen genannt worden. „You are the next“ („Du bist der nächste“) stand etwa auf einem Bild Schröders. Das Material belegte außerdem, dass der Mitangeklagte André E. engen Kontakt zu dem untergetauchten NSU-Trio hatte. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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