Inland

NSU-Prozess: Das Leid der Angehörigen

von Thomas Horsmann · 8. November 2013

Drei große Themen beherrschten in der 20. Verhandlungswoche den NSU-Prozess: Die erschütternden Aussagen von Angehörigen des Mordopfers Mehmet Kubaşik, die Ereignisse, die zur Enttarnung des NSU führten, und schließlich erneut die Mordwaffe, eine Ceska 83.

Die Aussagen von Angehörigen der Mordopfer gehören zu den Momenten im NSU-Prozess, die nur schwer zu ertragen sind. Am 51. Verhandlungstag waren Elif Kubaşik und ihre Tochter Gamze als Zeugen geladen und berichteten, wie dramatisch sich ihr Leben durch den Mord an ihrem Ehemann und Vater verändert hat. Familienoberhaupt Mehmet Kubaşik war am 4. April 2006 feige erschossen worden.

Familie Kubaşik betrieb zum Zeitpunkt des Mordes einen großen Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße. Dort bedienten abwechselnd Mehmet, Elif und Gamze Kubaşik. Zur Familie gehörten noch zwei Söhne, die damals erst sechs und elf Jahre alt waren. Gegen 12.55 Uhr zerstörten vier Schüsse aus einer Pistole der Marke Ceska 83 die Familie, Mehmet Kubaşik wurde zwei Mal in den Kopf getroffen und starb noch am Tatort.

Das Martyrium der Familie Kubaşik

Gamze Kubaşik berichtete im Zeugenstand vom engen Verhältnis zu ihrem Vater, dessen Tod sie nicht habe akzeptieren können. Sie habe bis heute Schlafstörungen und Angst allein zu sein. Ein Jahr habe sie das Haus nicht verlassen können, weil sie Angstzustände bekommen habe, sagte sie mit belegter Stimme. Ihre Ausbildung habe sie deshalb abbrechen müssen. Eine Therapie habe nicht geholfen.

Ihre beiden Geschwister hätten Probleme in der Schule bekommen. Der ältere Bruder habe sich mit einem Schüler geprügelt, weil der gesagt habe, dass die Familie Kubaşik keine „gute Familie“ sei und Drogen verkaufe. Bis heute seien ihre Geschwister sehr schweigsam und in sich gekehrt. Die ganze Familie habe unter dem Getuschel und den Gerüchten gelitten, die aufgekommen seien, nachdem die Polizei mit Drogenhunden die Wohnung der Kubaşiks durchsucht habe.

Polizei tappte im Dunkeln           

Auch im Fall Kubaşik ermittelte die Polizei zunächst in Richtung Familienstreitigkeiten, Frauengeschichten und Spielsucht, obwohl schnell feststand, dass die Tatwaffe die Ceska 83 war, die bereits bei sieben anderen Morden verwendet worden war. Auch im Fall Kubaşik gingen die Ermittler Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund nicht weiter nach, weil sie keine Beweise dafür fanden. Stattdessen vermuteten sie Drogenhandel, Organisierte Kriminalität und Geldwäsche als Hintergrund der Tat.

„Seither ist alles schwarz“

Elif Kubaşik, die Ehefrau des Ermordeten, trauert bis heute. Seit dem Mord trage sie ausschließlich schwarze Kleidung. Sie weine viel, rege sich schnell auf, leide unter Neurodermitis und sei seit Jahren in therapeutischer Behandlung. Auch sie habe sich ein Jahr nicht auf die Straße getraut. „Seit dem Tod meines Mannes ist alles schwarz“, sagte Elif Kubaşik. Sie werde nie vergessen, wie sehr ihre Kinder hätten leiden müssen. Sie habe ihren Mann sehr geliebt, nun seien „alle Träume zerbrochen“.

Wie der NSU aufflog

Ein weiteres großes Thema in der 20. Verhandlungswoche war der Bericht eines Ermittlers, der die NSU-Terrorzelle enttarnte. Der Leitende Polizeidirektor Michael M. war damals Chef einer Sonderkommission, die sich mit einer Serie von Banküberfällen in Thüringen beschäftigte, die alle dasselbe Muster zeigten: zwei bewaffnete Männer, Flucht auf Fahrrädern. Als am 4. November 2011 der Banküberfall in Eisenach gemeldet wurde, ließ M. die Stadt abriegeln.

Ein Bürger habe den entscheidenden Hinweis auf ein Wohnmobil gegeben, in das zwei Männer Fahrräder verstaut hätten. Als Polizisten sich dem Fahrzeug genähert hätten, seien zwei Schüsse gefallen. Kurz danach habe das Wohnmobil gebrannt.

Als M. persönlich in Eisenach eintraf, betrat er als erster das ausgebrannte Fahrzeug. Er fand zwei Leichen und stellte eine Pistole sicher, die sich als Dienstwaffe der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter entpuppte. Von da an sei klar gewesen, dass es um mehr gehe als Banküberfälle.

Die Autonummer des Wohnmobils führte nach Sachsen. Dort war es von Holger G. – einem der Mitangeklagten – offenbar gemietet worden. Bei der Überprüfung von Holger G. zeigte sich, dass er das Fahrzeug gar nicht selbst gemietet hatte, sondern Uwe Böhnhardt mit dem Ausweis von G.  

Die Gerichtsmedizin identifizierte unterdessen die beiden Leichen aus dem Wohnmobil: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Nun schloss sich der Kreis, denn die beiden wurden gemeinsam mit Beate Zschäpe seit Jahren gesucht. Beate Zschäpe war zu der Zeit bereits auf der Flucht und verschickte wohl NSU-Bekennervideos. Das gemeinsame Versteck in Zwickau hatte sie mutmaßlich in Brand gesetzt.

Ahnungslose Szene-Größe

Schließlich widmete sich das Oberlandesgericht München erneut der Frage, wie die Ceska 83 aus der Schweiz in die Hände des NSU kommen konnte. Der Weg scheint klar zu sein. Der Käufer der Waffe war ein Schweizer, der sie Jürgen L. schenkte, der Kontakt nach Thüringen zu Andreas Sch. hatte. Der war Mitarbeiter von Frank L., der am Donnerstag als Zeuge befragt wurde. Frank L. betrieb in Jena einen Szene-Laden und gilt selbst auch als Mitglied der rechten Szene. Über Frank L. soll der Kauf der Ceska 83 vermittelt worden sein. Carsten S. erwarb die Waffe im Auftrag von Ralf Wohlleben von Andreas Sch.

Frank L. wurde zwar lange befragt, doch konnte er sich an diesem Tag an so gut wie nichts erinnern. Er soll noch ein weiteres Mal vernommen werden.    

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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