Inland

NSU-Prozess: Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl

von Thomas Horsmann · 6. Dezember 2013

Im NSU-Prozess gipfelt der Streit um die Beziehung von Ermittlungsakten zu Ex-Verfassungsschützer Andreas T. in einen Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl. Letztlich geht es um unterschiedliche Erwartungen von Nebenklage und Bundesanwaltschaft, was das Gericht leisten soll.

Seit Beginn des NSU-Prozesses in München haben die Nebenkläger und die Bundesanwaltschaft unterschiedliche Erwartungen, was das Gericht leisten soll. Die Bundesanwaltschaft will den Mammutprozess nicht noch weiter aufblähen und hofft auf ein zügiges Verfahren. In ihrer Anklage hat sie alles zusammengefasst, was aus ihrer Sicht zur Verurteilung von Beate Zschäpe und ihren Mitangeklagten nötig ist. Alles was über die Feststellung der Schuld der Angeklagten hinaus geht und nichts zur Bemessung des Strafmaßes beiträgt, lehnt sie ab.

Die Nebenkläger wollen jedoch eine vollständige Aufklärung der NSU-Mordserie erreichen. Wer half dem NSU-Trio noch, gab es ein rechtes Netzwerk und welche Rolle spielte der Verfassungsschutz, der tief in die rechte Szene eingedrungen war. Die Bundesanwaltschaft ermittelt auch in dieser Richtung weiter, doch will sie diese Ermittlungen und mögliche Erkenntnisse zu weiteren Straftaten nicht in diesen Prozess einbringen.

Der Fall Yosgat

In der 24. Verhandlungswoche, die am Donnerstag zu Ende ging, trat dieser Konflikt deutlich hervor. Die Fakten: Am 6. April 2006 wurde der 21-jährige Halit Yozgat in seinem Internet-Café in der Holländischen Straße 82 in Kassel kurz nach 17 Uhr vermutlich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit zwei Kopfschüssen aus einer Ceska 83 ermordet. Unter den fünf Kunden, die von dem Mord nichts mitbekamen, war auch Andreas T., ein Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz.

Laut Ermittlungen der Polizei verließ T. das Internet-Café kurz nach dem Mord. Als er später von der Tat erfuhr, meldete er sich dennoch nicht bei der Polizei. Doch die Ermittler kamen dem Verfassungsschützer auf die Spur. Als möglicher Täter stand er kurz unter Verdacht, wurde dann aber entlastet. Laut seiner Aussage, war er nur zufällig am Tatort gewesen.

Merkwürdige Zufälle

Dennoch hätte die Ermittler gerne das Umfeld von T. weiter erkundet. Doch der damalige hessische Innenminister Volker Bouffier untersagte eine Befragung der V-Männer von T. Brisant wurde es jedoch, als sich herausstellte, dass T. den V-Mann Benjamin G. führte, der aus der rechten Szene stammte und zu den Verdächtigen gehörte, die das NSU-Trio unterstützt haben sollen. Zudem ergaben die Ermittlungen, dass T. am Tattag mit G. telefoniert hatte. Diese Erkenntnisse beschäftigten nicht nur den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, sondern ließen auch Raum für alle möglichen Verschwörungstheorien.

Ermittlungsakten zu T. – aber nicht alle

Wohl um solche Verschwörungstheorien zu entkräften, gestattet Richter Manfred Götzl, dass ein Teil der Ermittlungsakten zu Andreas T. in den Prozess eingeführt wurden. Allerdings nicht alle. Denn aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anderer beteiligter Personen dürften diese Akten, zum Teil Protokolle der Telefonüberwachung, nicht herausgegeben werden, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Die vollständigen Akten stünden allerdings bei der Bundesanwaltschaft zur Einsichtnahme zur Verfügung, bei Bedarf würden Kopien angefertigt.

Die Nebenkläger monierten jedoch, dass sie nicht zu allen beantragten Akten Kopien erhalten hätten und beantragten deshalb am Dienstag erneut, die vollständigen Akten in den Prozess einzuführen. Doch das Gericht entschied sich dagegen. Die Vorwürfe der Nebenklage, das Gericht sei an einer vollständigen Aufklärung Mordes nicht interessiert, wies Götzl als gewagt zurück. Der Verdacht, den die Nebenkläger geäußert hatten, es könne eine staatliche Beteiligung an den NSU-Taten geben, verwies Götzl ins Reich der Spekulation.

Andreas T. erinnert sich nicht

Was also wusste Andreas T.? Richter Götzl vernahm den Ex-Verfassungsschützer bewusst scharf und versuchte, die Widersprüche in dessen Aussagen aufzuklären. Doch letztlich brachte die Vernehmung keine neuen Erkenntnisse. T. konnte weder befriedigend erklären, warum er nicht zu Polizei gegangen war, noch woher er sein Wissen über einige Details der Ermittlungen hatte. Götzl ermahnte den Zeugen mehrfach die Wahrheit zu sagen, doch Andreas T. blieb eisern dabei, nichts gesehen und nichts gewusst zu haben. Meist konnte er sich aber nicht erinnern.

Befangenheitsantrag

Zum Eklat kam es am Donnerstag bei der Vernehmung von Benjamin G., dem ehemaligen V-Mann aus der rechten Szene, der von Andreas T. geführt worden war. Eine Anwältin der Nebenklage wollte den Zeugen mit Erkenntnissen aus den Ermittlungsakten zu T. konfrontieren, die von der Bundesanwaltschaft nicht in den Prozess eingeführt worden waren. Daraufhin stellte die Verteidigung von Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl. Diese Art der Befragung sei nicht akzeptabel, da den Prozessbeteiligten die Akten nicht vorlägen. Bisher sei dies von Götzl aber immer verlangt worden. Über diesen Antrag muss das Gericht bis kommende Woche entscheiden.

G’s Gedächtnislücken

Der Prozess wurde dennoch fortgesetzt. Bei der ebenfalls sehr zähen Vernehmung von Benjamin G. kam nicht nur heraus, dass sein Bruder, Christian W., Anführer der rechten „Kameradschaft Kassel“ war, sonder auch, dass G. während seiner Bundeswehrzeit vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) angeworben worden war. Später wechselte er zum hessischen Verfassungsschutz. Auch G. litt unter vielen Gedächtnislücken.

Das Verfahren wurde schließlich auf kommende Woche vertagt, weil Beate Zschäpe über Kopfschmerzen klagte.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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