„Niemand will nur Handlanger sein“– für mehr Selbstbestimmung in der Pflege
Florian Gaertner/photothek.net
Wie haben Sie die Corona-Krise im Krankenhaus erlebt?
Zuerst fällt mir dazu ein, was wirklich gut funktioniert hat. Das war, dass alle, Ärzt*innen und Pflegekräfte, gut zusammengearbeitet haben. In relativ kurzer Zeit haben wir die Intensivbettenkapazität von zwölf auf 16 Betten aufgestockt. Unter den Mitarbeiter*innen gab es eine hohe Bereitschaft, Dienste zu übernehmen und sich in die Intensivpflege einzuarbeiten.
Als dann die Intensivstation voll belegt war, wir hatten u.a. auch sechs Covid-Patient*innen, war das schon eine belastende Situation. Aber alle haben sich Mühe gegeben. Da konnte man merken, dass die Kolleg*innen ihre Arbeit aus Passion machen. Das hat mich sehr berührt.
Belastend hingegen war die Zeit, die ich mit einem politischen Vakuum bezeichne. Wir waren angehalten, den Betrieb herunterzufahren und Betten zur Verfügung zu stellen. Es gab zwar eine Zusage, dass wir nicht auf den Kosten sitzen bleiben würden, aber es kam erst einmal nichts, der Rettungsschirm hat etwas auf sich warten gelassen. Das hat auch bei den Mitarbeiter*innen zu Verunsicherungen geführt. Schließlich werden von den Einnahmen auch die Gehälter gezahlt.
Wie sieht die Unterstützung für Krankenhäuser konkret aus?
Zum einen gab es Geld für die zusätzlich angeschafften Beatmungsgeräte und auch für die zusätzlich zur Verfügung gestellten Betten. Und derzeit gibt es mit dem Rettungsschirm bis einschließlich Ende September 560 Euro am Tag für jedes nicht belegte Bett. Verglichen wird die Anzahl der Betten mit denen im selben Zeitraum des Jahres 2019.
Reicht diese Finanzierung aus?
Für ein Krankenhaus in unserer Größe reicht es, um diese Durststrecke zu überwinden. Für kleine OPs sind diese 560 Euro ganz gut bezahlt, für größere Eingriffe ist es eher schlecht bezahlt. Man muss das mit den Gebühren der Fallpauschalen vergleichen.
Lange Zeit war auch unklar, wer für die Covid-Abstriche aufkommt. Ein solcher Test kostet 60 Euro. Das sind Kosten, die im Fallpauschalensystem, wonach die Vergütung von Leistungen im Gesundheitsbereich abgerechnet werden, nicht vorgesehen sind. Inzwischen gibt es dafür auch eine Zulage, aber auch das hat seine Zeit gebraucht.
„Es wurde viel Beifall geklatscht. Ich fand das eine tolle Geste.“
Wie sieht es mit der Entlohnung bei den Fachkräften aus?
Nun haben ja alle durch Corona wahrgenommen, wie wichtig unser Beruf ist und es wurde viel Beifall geklatscht. Ich fand das eine tolle Geste. Aber es gibt das Grundproblem, dass Kranken- und Altenpfleger*innen nicht überall tariflich entlohnt werden und da sind wir ganz schnell mal bei 600 bis 700 Euro Unterschied zum Tarifgehalt. Ärzt*innen hingegen werden immer gut entlohnt, auch wenn es kein Tarifsystem gibt. Meiner Meinung nach muss es einen Tarifzwang geben und eine Vereinheitlichung der Bezahlung.
Auch ist der Gap zwischen dem Einkommen von Arzt*innen und Pflegekräften nicht gerechtfertigt. Frisch ausgebildete Assistenzärzt*innen kommen auf 75.000 Euro, eine neu eingestellte examinierte Pflegekraft auf nicht mal 50.000 Euro, selbst wenn sie studiert hat. Dabei haben beide eine wichtige Arbeit am Patienten. Das muss sich ändern.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich neben einer besseren Entlohnung?
Meist geht es den Pflegekräften gar nicht um mehr Geld, sondern in erster Linie darum, mehr Zeit zu haben, um Patient*innen besser versorgen können. So, dass es ihrem Anspruch genügt.
Das hat auch mit dem Personalschlüssel zu tun, generell aber muss man sich mal die Verantwortlichkeiten in einem Krankenhaus anschauen. Warum ist eine examinierte Pflegekraft darauf angewiesen, dass die Wundversorgung von Ärzt*innen angeordnet werden muss? Warum kann sie das nicht selber machen, obwohl sie die Patient*innen und das Krankheitsbild besser kennt?
Für diesen Formalismus habe ich wenig Verständnis. In anderen europäischen Ländern haben Pflegekräfte viel mehr Kompetenzen als in Deutschland. Im neuen Pflegeberufegesetz sind Ansätze für einen größeren Entscheidungsspielraum vorhanden, so kann beispielsweise eine Pflegeplanung nur noch von examinierten Pflegefachkräften vorgenommen werden. Aber auch darüber hinaus gibt es viele medizinischen Dinge, die eine Kranken- oder Pflegekraft viel besser entscheiden kann als ein Arzt.
Noch liegt zu viel in der Herrschaft der Ärzt*innen. Politik ist nicht mutig genug, diese Kompetenz Pflegekräften zu übertragen. Als Beispiel: Blutabnahme im Krankenhaus ist eine ärztliche Tätigkeit und darf nur an eine Krankenschwester delegiert werden. Das ist Quatsch, denn hier im Krankenhaus sind mehr Pflegekräfte, die Blut abnehmen können als Ärzt*innen. Das hat nichts mit Realität zu tun.
Mehr Entscheidungsspielraum für Pflegekräfte, könnte so der Beruf wieder attraktiver werden?
Niemand lernt gerne, um hinterher nur Handlanger zu sein. Kann ich aber jemanden schon in der Ausbildung erklären, was er oder sie selbst bestimmen kann, wird meine Arbeit interessanter. Dabei ist der Beruf durch die Akademisierung und Fachausbildung bereits aufgewertet, wird oft nur in der Öffentlichkeit schlecht geredet, wenn von zu wenig Personal und Geld die Rede ist. Das stimmt generell so nicht.
Im Krankenhaus hat eine Pflegekraft ein auskömmliches Gehalt. Eine Intensivpflegekraft kommt auf die 60 bis 70.000 Euro, allerdings im Drei-Schicht-System. Man sollte den Beruf also nicht nur schlecht reden, denn so sorgt man auch nicht für Nachwuchs. Deshalb nochmal: Die Aufmerksamkeit unseres Berufs während der Corona-Krise war gut. Endlich wurde gesehen, dass wir einen tollen Job machen und dass wir wichtig sind. Und wichtig sind wir nicht nur in Corona-Zeiten.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.