Neuwahlen in Thüringen: Welche Möglichkeiten die Landesverfassung bietet
picture alliance/dpa
Am Mittwochmittag gegen 13.30 Uhr stand das Ergebnis fest: Der FDP-Abgeordnete Thomas Kemmerich ist neuer Ministerpräsident von Thüringen, gewählt auch mit den Stimmen von CDU und AfD. Die Empörung war groß. Zahlreiche Politiker*innen der SPD verurteilten die Wahl mit Unterstützung der rechtsextremen AfD und forderten rasche Konsequenzen. Am Abend demonstrierten in rund 30 deutschen Städten insgesamt mehr als 20.000 Menschen.
Einen Tag später versuchen sich auch die beteiligten Parteien von der Entscheidung zu distanzieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte den Vorgang „unverzeihlich“ und forderte, die Wahl rückgängig zu machen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner reiste am Donnerstag für ein Gespräch mit dem neuen Ministerpräsidenten Kemmerich nach Erfurt. Kemmerich kündigte in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Donnerstagmittag an, dass die FDP-Fraktion den Antrag stellen werde, den Landtag aufzulösen.
Wie kann der Landtag aufgelöst werden?
Nach Artikel 50 der Thüringer Landesverfassung ist eine vorzeitige Neuwahl möglich, wenn der Landtag dies mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschließt. Der Antrag dafür muss von mindestens einem Drittel der Landtagsabgeordneten beantragt werden. In einer gemeinsamen Erklärung verschiedener CDU-Arbeitsgemeinschaften in Thüringen lehnte die Union Neuwahlen am Donnerstag zunächst ab. Die Stimmen der CDU-Abgeordneten wären aber mutmaßlich notwendig, um eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen.
Wie funktioniert ein Misstrauensvotum?
Eine weitere Möglichkeit, Neuwahlen herbeizuführen, wäre ein erfolgloser Vertrauensantrag des Ministerpräsidenten im Landtag. Wenn anschließend nicht innerhalb von drei Wochen nach der Beschlussfassung über den Vertrauensantrag ein*e neue*r Ministerpräsident*in gewählt würde, müssten Neuwahlen abgehalten werden, und zwar innerhlab von 70 Tagen. Nach der Wahl muss der neu gewählte Landtag dann innerhalb von 30 Tagen zusammentreten. Kemmerich kündigte an, dass er die Vertrauensfrage stellen werde, sofern nicht die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zur Auflösung des Landtages zustande komme.
Wann kann der Landtag frühestens wieder zusammentreten?
Nach Artikel 57 der Thüringer Landesverfassung ist der Präsident verpflichtet, eine Sitzung des Landtags einzuberufen, wenn ein Fünftel der Mitglieder oder eine Fraktion oder die Landesregierung es verlangen. Eine Sitzung des Thüringer Landtags mit einem Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Thomas Kemmerich könnte also schon recht bald erfolgen.
Reaktionen der SPD
Führende SPD-Politiker*innen begrüßten Kemmerichs Ankündigung im Nachgang der Pressekonferenz. Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Serpil Midyatli schrieb auf Twitter: „Der Rücktritt von Kemmerich ist ein notwendiger, erster Schritt. Jetzt müssen Neuwahlen kommen, damit die Wählerinnen und Wähler in Thüringen dieses Verhalten bewerten können. Für uns gilt: Die SPD wird niemals und nirgendwo mit der AfD zusammenarbeiten!“
Der Juso-Vorsitzende und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert kommentierte Kemmerichs Statement mit den Worten: „Ein kleiner Schritt für den deutschen Liberalismus, nämlich vor die Türen des Thüringer Landtages, aber ein großer Schritt für die Rechtsverschiebung im Land. Und, war's das wert, FDP?“ Für die Reaktion des Europa-Staatsministers im Auswärtigen Amt Michael Roth reichte ein Wort: „Endlich.“ Skeptisch zeigte sich die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag: „Wir halten fest: Es ist unklar, ob Kemmerich zurücktritt. Er gab nur eine öffentliche Ankündigung für einen Antrag. Ein klares Statement sieht anders aus.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo