Neue Kriminalstatistik: Die größte Gefahr kommt von Rechts
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Die politisch motiviert Kriminalität in Deutschland wächst. 2019 wurden 14 Prozent mehr Straftaten registriert als im Vorjahr. Das sind 41.177 Taten, von Beleidigung und Körperverletzung bis zu Brandstiftung und Mord. Mehr als die Hälfte der Taten werden rechtsextremistischen Straftätern zugeordnet, sie stiegen um rund neun Prozent. Bei Straftaten von Linksextremisten beträgt der Anstieg rund 23 Prozent.
Gefahrenanalyse: SPD und Union stimmen überein
Die Innenminister von SPD und Union sind sich einig: „Die größte Bedrohung in unserem Land geht von Rechts aus“, wie es Bundesinnenminister Horste Seehofer (CSU) heute bei der Vorstellung der Statistik für 2019 vor der Bundespressekonferenz in Berlin formulierte. Georg Meier (SPD), Innenminister Thüringens und Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Länder, sieht das genau so: „Die Gefahr kommt von Rechts.“
Die Straftaten der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) in 2019 machten laut Seehofer zwar nur ein Prozent aller Straftaten aus. Sie hätten aber eine „hohe Bedeutung für politische Stabilität“ und seien Anlass zu „großer Sorge“. Die Zahl der politischen Straftaten habe das zweithöchste Niveau seit 2001 erreicht, dem Jahr als die PMK-Statistik eingeführt wurde.
Dramatische Zahlen beim Antisemitismus
Noch dramatischer sind die Zahlen bei antisemitischen Taten. Hier wurde der höchste Stand seit der Erfassung vor 20 Jahren erreicht. Das ist ein Anstieg um rund 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei den erfassten Beleidigungen und Übergriffen auf jüdische Bürger*innen und Einrichtungen kamen die Täter fast ausschließlich aus der rechtsextremen Szene. Seehofer rief zu, „höchster Wachsamkeit“ auf.
Georg Maier, der Chef der Innenministerkonferenz (IMK), sieht angesichts der aktuellen Zahlen eine „neue Dimension, was die Bedrohung unserer Demokratie“ betrifft. Es seien im rechtsextremistischen Bereich Strukturen entstanden, die zu lange nicht gesehen und nicht bekämpft worden seien. Meier berichtete als Innenminister Thüringens von Rechtskonzerten in seinem Bundesland mit tausenden Teilnehmern. So verdiene die rechte Szene Geld und betreibe Gaststätten und Versandhandel.
Georg Maier warnt: Unterwanderung von Rechts
Sorgen bereitet Maier die zunehmende Hetze im Internet auf den sozialen Plattformen, auch im Zusammenhang mit Corona. Er warnte vor einer „Unterwanderung“ der Anti-Corona-Proteste und einer „Entgrenzung“ von Rechts in die Mitte der Gesellschaft. Auch die „identitäre Bewegung“ wirke mittlerweile bis in die Mitte.
Maier sieht ein sehr aufgeheiztes politisches Klima, das etwa im letzten thüringischen Landtagswahlkampf deutlich spürbar gewesen sei. So etwas habe es in der Vergangenheit nicht gegeben. Die Folge sei auch verstärkte Gewalt zwischen Rechts und Links. Diese Feststellung sei „kein direkter Vergleich mit Weimar“, aber „wir sind aufgerufen, alles zu tun, um unsere Demokratie zu schützen“. Große Sorge bereitet Innenminister Maier auch die zunehmende Bedrohung von Kommunalpolitikern im Internet. Der Staat müsse seine „Verantwortungsträger schützen“.
Soziale Plattformen in der Pflicht
Das Vereinsverbot für den rechtsextremen „Combat 18“ sei ein „ganz wichtiger Schritt“ gewesen im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Weitere müssten folgen. Wir müssen „sehr früh erkennen, wo eine Radikalisierung stattfindet“, so Maier, oft im digitalen Bereich. Das sei eine große Herausforderung für Polizei und Sicherheitsbehörden. Thüringens Innenminister erinnerte an die Pflichten sozialer Plattformen, strafrechtlich relevante Einträge nicht nur zu löschen, sondern auch zur Anzeige zu bringen.
„Der enorme Anstieg der Zahlen bei politischer Kriminalität ist alarmierend“, erklärte Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. „Mich erschreckt vor allem, dass gerade bei uns in Deutschland antisemitische Straftaten im vergangenen Jahr erheblich zugenommen haben.“ Gleichzeitig sieht Vogt in den Zahlen aber auch „Anlass zur Hoffnung“: Sie zeigten, dass die Anzeigebereitschaft steige und eine höhere Sensibilität in der Gesellschaft zu erkennen sei.
Ute Vogt: Offensiv für die Demokratie eintreten
„Die Zahlen sind ein Auftrag an Politik und Gesellschaft offensiv für unser demokratisches System einzutreten“, so Vogt. In Ergänzung zur Kriminalstatistik sei einregelmäßiger Sicherheitsbericht nötig, der sich die Kriminalitätsfelder unter allen Aspekten, vor allem auch der Opferperspektive, anschaue. „Nur so können wir die Zahlen richtig interpretieren und gezielt reagieren.“
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die mit knapp 200.000 Mitgliedern größte Interessenvertretung der Polizei in Deutschland, zeigt sich sehr besorgt über die politische Kriminalität im Land. Das immer offenere und drastischere Auftreten extremistischer und radikaler Gruppen sei alarmierend, so GdP-Vizechef Jörg Radek in Berlin. Die vermehrten Angriffe ließen bei Verfassungsfeinden eine offensichtliche Form von Selbstsicherheit und vermuteter gesellschaftlicher Akzeptanz erkennen. Dies sei zwar ein Trugschluss. Sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass es vorbeiziehe, sei jedoch höchst gefährlich. Radek betonte: „Wir müssen den Kampf gegen die extremen Verführer und Hetzer nicht nur annehmen, sondern ihn gesellschaftlich forcieren. Dabei bedarf es eines gemeinschaftlichen Vorgehens aller demokratischen Kräfte unseres Landes.“
Gewerkschaft der Polizei: Populisten entlarven
Der GdP-Vize räumte in diesem Zusammenhang auch „vereinzelte Vorkommnisse rechtsextremistischer Tendenzen innerhalb der Polizei“ ein. Die „Firewall“ gegen die Gegner unserer Demokratie müsse ständig auf Risse geprüft werden. Dazu sei es nötig, die politische Bildung der Polizei zu verbessern. Die Polizist*innen sollten so widerstandsfähiger werden gegen Populismus und Radikalismus. Das Ziel müsse sein, „den Populisten und Extremisten die Maske herunterzureißen und die Fratze der Demokratiefeinde, Hetzer und Rassisten offen erkennbar wird“, so der Polizeigewerkschafter.