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Nein zur Rente mit 70: Wie glaubwürdig ist Angela Merkel?

Es ist das Totschlagargument schlechthin, wenn es darum geht, die Rente zu sichern: länger arbeiten. Unerwartet erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim TV-Duell am Sonntag der Rente mit 70 eine Absage. Doch wie glaubwürdig ist ihr „Nein“?
von Vera Rosigkeit · 6. September 2017
Die Rente mit 67 sorgte für Protest, droht nun die Rente mit 70?
Die Rente mit 67 sorgte für Protest, droht nun die Rente mit 70?

Es kam überraschend: Die Kritik von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz an den Plänen der Union, das Renteneintrittsalter zu erhöhen – „bei der Union wird bis 70 gearbeitet“ – führte dazu, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich von diesen Plänen distanzierte. Am Renteneintrittsalter „ändert sich nichts“, sagte Merkel im TV-Duell, „ein ganz klares Nein“.

Merkels Nein zur Rente mit 70

Das wäre glaubwürdig, könnte die Kanzlerin nun auch noch erklären, wie sie das Rentensystem zukunftsfest machen will, ohne das Renteneintrittsalter anzuheben. Während die SPD in einem Konzept darlegt, wie sie das Niveau sichern und gleichzeitig die Beiträge stabil halten will, geht die Union ohne Rentenkonzept in den Wahlkampf, Begründung: die Rente bis 2030 sei solide aufgestellt.

Vertrauensvoll wirkt das nicht. Im Gegenteil ruft es genau jene auf den Plan, die der Zukunft der Rente reflexartig ein Anheben des Rentenbeginns fordern: allen voran die Wirtschaftsverbände. Beispiel: Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Im Interview mit dem WDR erklärte Hüther am Dienstag: Wenn das Renteneintrittsalter nicht verändert werde, müsse entweder der Beitragssatz dramatisch erhöht oder das Rentenniveau deutlich abgesenkt werden. Eine klassische Schwarz-Weiß-Argumentation, die wenig Raum für eine Alternative lässt. Möglicherweise ist das auch gar nicht gewollt.

Rente mit 70 verschärft Altersarmut

Der Ökonom und Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, entgegnete im selben Interview, dass die Rente mit 70 „unsere Probleme der Altersarmut noch verschärfen würde“. Viele Menschen würden laut Horn dieses gesetzliche Rentenalter gar nicht erreichen und sich damit noch weiter von einer abschlagsfreien Rente entfernen. In diesem Zusammenhang ist oft von einer „versteckten Rentenkürzung“ die Rede.

Kein höheres Renteneintrittsalter (Rente mit 67) bei stabilen Beiträgen (22 Prozent) und einem sicheren Rentenniveau bei 48 Prozent, das verspricht die SPD in ihrem Wahlprogramm. Schon im vergangenen November hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles dem Koalitionspartner dieses Vorhaben unterbreitet. Sie befürchtet, dass das Vertrauen in die gesetzliche Alterssicherung schwindet, vor allem bei den Jüngeren. „Die Jüngeren zahlen mehr Beiträge, was wir wegen der Babyboomer, die jetzt in Rente kommen, nicht verhindern können“, sagte Nahles auch am Dienstag bei der letzten Bundestagsdebatte vor der Bundestagswahl am 24. September.

Jüngere zahlen drauf

Doch gehe es nach dem Plan der Union und es würde nichts getan, würden die Jüngeren mehr einzahlen und dafür weniger Rente bekommen, betonte sie. „Das zerstört das Vertrauen in die wichtigste Säule unserer Sozialsystems: die gesetzliche Rente“, ist Nahles überzeugt. Deshalb habe die Sicherung des Rentensystems für die SPD auch Priorität.

Weil das nicht umsonst zu haben ist, will die SPD die gesetzliche Rente mit Steuerzuschüssen, einem sogenannten Demografiezuschuss, stabilisieren. Besonders wenn ab 2028 die erste Kohorte der sogenannten Babyboomer in den Ruhestand geht, sei es nötig, „erhebliche Mittel in die Hand“ zu nehmen, weiß Nahles. Noch im November lehnte Kanzlerin Merkel das Vorhaben zur Sicherung der gesetzlichen Rente ab, ohne einen eigenen Gegenentwurf vorzulegen. Der fehlt bis heute.

Auch deshalb wirkt Merkels „Nein“ zur Rente mit 70 wenig überzeugend. Aber damit steht sie nicht alleine. Auch FDP-Chef Christian Lindner behauptete im Fernseh-Duell der kleinen Parteien am Montagabend, dass er gegen die Debatte um ein festes Renteneintrittsalter sei. Seiner Meinung nach sollten „alle Menschen ab 60 die Freiheit haben, in die Rente zu wechseln“. Ob mit oder ohne Abschläge, verriet Lindner leider nicht.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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