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Negativzinsen auf Kontoguthaben: Was ist erlaubt?

Immer mehr Banken verlangen Negativzinsen von ihren Kund*innen. Dabei sprechen sie von „Verwahrentgelten“. Ob solche Extragebühren zulässig sind, wurde von Gerichten scheinbar unterschiedlich bewertet. Tatsächlich gibt es aber eine gemeinsame Linie.
von Christian Rath · 10. Januar 2022

Betroffen sind vor allem Giro- und Tagesgeldkonten. Wie das Vergleichsportal verivox festgestellt hat, ist die Zahl der Banken, die Negativzinsen verlangen, im letzten Jahr von 178 auf 423 gestiegen. Damit arbeitet inzwischen ein Drittel der rund 1300 verglichenen Banken mit Verwahrentgelten. Betroffen sind je nach Bank meist Summen über 25.000, 50.000 oder 100.000 Euro. In der Regel werden dann 0,5 Prozent Verwahrentgelt verlangt.

Sind Negativzinsen grundsätzlich unzulässig?

Die Verbraucherzentralen halten Negativzinsen grundsätzlich für unzulässig und klagen in vielen Fällen. Im Jahr 2021 fanden vor allem zwei Urteile öffentliche Beachtung, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Das Landgericht Leipzig erklärte im Juli die Vereinbarung von Verwahrentgelten für zulässig (Az.: 5 O 640/20). Dagegen hielt das Landgericht Berlin in einem Urteil, das im November bekannt wurde, Verwahrentgelt-Klauseln für unwirksam (Az.: 16 O 43/21).

Im Kern geht es um die Frage, ob Banken hier so sehr vom gesetzlichen Leitbild abweichen, dass die Verbraucher*innen unangemessen benachteiligt werden. Die Frage ist diffizil, weil ein Giro-Konto mehrere Aufgaben erfüllt. Einerseits geht es um Zahlungsdienste wie das Einzahlen und Abheben von Geld sowie das Ausführen von Lastschriften und Überweisungen. Für diese Zahlungsdienste darf die Bank separate Entgelte neben den Kontoführungsgebühren verlangen. Das hat der Bundesgerichtshof bereits 2019 entschieden.

Beispiele aus Leipzig und Berlin

Daneben hat das Giro-Konto aber noch weitere Funktionen. Der Kunde gibt der Bank faktisch ein Darlehen und überlässt ihr sein Geld zur Verwahrung. Hier gelten die Regeln für Zahlungsdienste nicht. Banken, die Verwahrentgelte verlangen, sehen die Verwahrung des Geldes als getrennte Hauptleistungspflicht, für die sie ein separates Entgelt vereinbaren können. Das Landgericht Leipzig hat dies akzeptiert, während das Landgericht Berlin den Verwahrvertrag als untrennbaren Bestandteil des Giro-Vertrags ansah. Auf den ersten Blick widersprechen sich die beiden Entscheidungen. Zu berücksichtigen ist aber, dass es auch um unterschiedliche Praktiken der Banken ging.

Im Berliner Fall hatte die Sparda-Bank per Änderung des Preisverzeichnisses ein Verwahrentgelt von 0,5 Prozent für Einlagen ab 25.000 Euro eingeführt. Nur bei Altkund*innen sollte eine individuelle Vereinbarung geschlossen werden. Das Landgericht Berlin beanstandete diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), weil sie dem gesetzlichen Leitbild entgegen laufen. Normalerweise müsse die Bank dem Kund*innen Zinsen bezahlen. Hier aber werde die Bezahlung zur Pflicht des Kund*innen. Dadurch werde er unzulässig benachteiligt.

Im Leipziger Fall hatte die Sparkasse Vogtland für neue Giro-Verträge ein Verwahrentgelt von 0,7 Prozent auf Einlagen ab 5.000 Euro verlangt. Das Landgericht Leipzig hielt dies für zulässig, weil das Verwahrentgelt nicht nur per Aushang eingeführt wurde. Vielmehr wurden die Kund*innen durch geschulte Bankberater*innen ausführlich über das Verwahrentgelt aufgeklärt. Und die Kund*innen unterschrieben jeweils eine separate „Anlage Verwahrentgelt“. Deshalb unterliege das Verwahrentgelt hier keiner AGB-Kontrolle. Per individueller Vereinbarung durften die Banken auch vom gesetzlichen Leitbild abweichen, so die Leipziger Richter.

Änderung nicht durch die AGB

Dass die beiden Gerichte nicht weit auseinander sind, zeigt die weitere Argumentation des Berliner Landgerichts. Zwar gehöre es zum Geschäftsrisiko der Bank, dass sich ihre Rendite reduziert, wenn sie selbst bei der Europäischen Zentralbank Negativzinsen für überschüssiges Geld zahlen muss. Andererseits könne die Bank aber wegen der veränderten Rahmenbedingungen den Kunden das Konto kündigen - oder sie könne mit einem „nachdrücklichen Verweis“ auf die Kündigungsmöglichkeit „ergänzende Entgeltvereinbarungen“ durchsetzen. Das Landgericht Berlin hält also individuelle Vereinbarungen von Verwahrentgelten ebenso für zulässig wie das Landgericht Leipzig.

Noch hat der Bundesgerichtshof nicht entschieden. Aber er wird wohl auch dieser Linie folgen: Banken können Verwahrentgelte für Girokonten nur per individueller Vereinbarung mit dem Kund*innen einführen, nicht aber durch eine bloße Änderung ihrer AGB.

Bundesgerichtshof entscheidet

Dieser Maßstab gilt bisher auch für Tagesgeldkonten. Ob er auch auf Sparkonten übertragbar ist, mussten Gerichte bisher nicht entscheiden, weil die meisten Banken Negativzinsen für Sparkonten ausschlossen. Mit der Commerzbank hat nun aber auch das erste prominente Institut diese Grenze überschritten.

Vermutlich wird bei Sparkonten aber nichts anderes gelten als bei Girokonten. Eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild, dass die Bank Zinsen zu zahlen hat, ist hier per AGB erst recht nicht möglich. Und eine individuelle Vereinbarung von Negativzinsen sollte auch bei Sparkonten zulässig sein. Kund*innen, die das nicht mitmachen wollen, können derzeit ja noch die Bank wechseln.

Ob bald alle Banken Verwahrentgelte verlangen, hängt vor allem davon ab, ob die EZB ihren Kurs des billigen Geldes beibehält. Wegen der aktuell ungewohnt hohen Inflation von rund fünf Prozent steht die EZB unter Druck.

 

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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