Inland

Nahles-Gesetz soll Ausbeutung von Leiharbeitern beenden

Mit einem Gesetz will die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles den Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit bekämpfen. Ein Blick in die Praxis zeigt: Das wird auch allerhöchste Zeit.
von Vera Rosigkeit · 3. Dezember 2015
Leiharbeit und Werkverträge
Leiharbeit und Werkverträge

Gut zehn Jahre lang montierte Christian Graupner Vorder- und Hinterachsen bei Thyssen Krupp Automotive Systems (TKA), einem Werkvertragsunternehmen von Porsche und BMW in Leipzig. Mit einem Lohn von 1050 Euro Brutto fing er an. Das war 2003. Mit den Zuschlägen durch die Arbeit im Dreischichtsystem kam der gelernte Vermessungstechniker auf ungefähr 900 Euro Netto im Monat. „Je nachdem, was deine Frau verdient, kann es schon sein, dass du bei einem solchen Gehalt aufstocken musst“, sagt Graupner heute. Inzwischen ist sein Einkommen gestiegen, aber an seinem Status hat sich nichts geändert: Noch immer ist Graupner Leiharbeiter. „Jetzt schon über zwölf Jahre“, sagt er.

Leiharbeit als Regel statt Ausnahme

An Europas modernstem Automobilstandort Leipzig ermöglicht die „Fabrik der Zukunft“ mittels innovativster Produktionstechnologien, die Herstellung in kleine Arbeitschritte zu zerlegen. Wo immer möglich, werden die Arbeitsschritte über einen Werkvertrag an Dienstleister vergeben. Da die Auftragsvergabe meist auf zwei Jahre plus ein Jahr Verlängerung befristet ist, heuern Werkvertragsfirmen wie TKA Beschäftigte bei unterschiedlichen Leiharbeitsfirmen an. „Die Arbeit wird hier größtenteils von Leiharbeitern gemacht. Leiharbeit und Befristung sind mehr Regel als Ausnahme“, erklärt Graupner. „Die soziale Verantwortung wird abgegeben und das unternehmerische Risiko auf die Mitarbeiter verlagert, denn die kann man von heute auf morgen abmelden.“ Er selbst ist angestellt bei dem Dienstleistungsunternehmen WISAG. Dort ist er seit 2010 engagierter Betriebsrat.

Die gleiche Arbeit für weniger Geld

Elf bis zwölf Euro Stundenlohn, 30 Urlaubstage und Weihnachtsgeld sind bei der WISAG vertraglich vereinbart. Auch weil die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) bereits Firmentarifverträge mit deutlichen Einkommenserhöhungen durchsetzen konnte. Trotzdem redet man über Lohnunterschiede. „Wir von Schnellecke arbeiten Hand in Hand mit den Stammbeschäftigten zusammen“, erklärt Guido Machowski, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Schnellecke Sachsen GmbH, einem Industrielogistikunternehmen, das ebenfalls als Werkvertragsfirma Porsche und BMW mit Material versorgt. „Äußerlich ist das Mehrklassensystem wenig sichtbar. Die Stammbeschäftigten haben ihre Namen auf der Latzhose aufgestickt, die anderen haben das nicht. Aber da, wo der Porschemitarbeiter 16 bis 17 Euro die Stunde verdient, verdient der normale Bandarbeiter von Schnellecke ungefähr elf bis zwölf Euro. Wir machen ja keine artfremde Arbeit. Wir machen das gleiche wie die Kollegen – nur für weniger Geld.“

Doch es ist nicht nur die Lohndifferenz, die den Unterschied macht. „Alles dreht sich um die Frage: Wann werde ich übernommen?“, sagt Machowski, der auch als Leiharbeiter angefangen hat. „Seit ich Betriebsrat bin, kämpfe ich dafür, dass Leiharbeiter übernommen werden. Ich habe selber mit sechs Euro hier angefangen, dann bekam ich als Festangestellter 7,50 Euro.“ Nach der Übernahme hatte Machowski noch drei Mal befristete Verträge. „So ist deine Zukunft nicht planbar. Wie viele andere hier habe auch ich Familie.“

Leiharbeiter als flexible Verschiebemasse

Doch Planen ist schon im Alltag schwierig. Werden die Schichtpläne auf Wunsch der Kunden kurzfristig geändert, müssen zuerst die Leiharbeiter einspringen. Gleiches gilt für Extraschichten am Wochenende oder Mehrstunden in der Urlaubszeit. Der Arbeitgeber profitiert vom flexiblen Einsatz der Leiharbeiter, denn es gibt kein Mitspracherecht, an welchem Ort im Betrieb die Arbeitskraft eingesetzt wird. „Deshalb machen wir vorwiegend die Anlerntätigkeiten in der Produktionsunterstützung, eine Arbeit, die mich kaum ausfüllt“, so Graupner. Kein Anspruch auf berufliche Weiterbildung, keine Aufstiegschancen. „Die Arbeit verläuft sehr monoton“, fasst er zusammen.

Und über allem schwebt die Unsicherheit. „Die Kollegen sind vorsichtig, trauen sich nicht so schnell als Gewerkschaftsmitglied aufzutreten oder als Vertrauensmann zu arbeiten. Das macht die engagierte Arbeit schwieriger“, weiß Machowski. „Wir stellen auch fest, dass Leiharbeiter und Befristete öfter mal krank zur Arbeit gehen.“

Kein Recht auf Übernahme

Ungewissheit herrscht auch über das Einsatzgebiet. „Man weiß nicht, wo man nächste Woche arbeitet, denn laut Arbeitsvertrag bist du deutschlandweit einsetzbar“, sagt Graupner. „So gesehen haben wir den Vorteil, dass wir vor Ort schon zwölf Jahre eingesetzt werden.“ Aber ein Anspruch auf Übernahme leitet sich daraus nicht ab. Denn zur Zeit ist es möglich, „dass du dein ganzes Leben lang Leiharbeiter bist“, erklärt er. „Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz steht zwar vorübergehend. Vorübergehend ist aber kein definierter Rechtsbegriff, diese Zeitspanne ist nicht festgeschrieben.“

Graupner und Machowski sind sich sicher: „Das muss sich ändern“. Denn eigentlich brauche man die Leiharbeit gar nicht. Es gebe ja Befristung mit Sachgrund und damit genug Möglichkeiten, um flexibel zu reagieren. „Würde die Leiharbeit in Deutschland für das genutzt, für das sie gedacht ist, wäre ja alles in Ordnung“, erklärt Machowski. „Aber das, was hier passiert, ist Missbrauch. Hier wird Profit auf anderer Leute Rücken gemacht.“

Graupner hat seinen Protest bereits kundgetan. Er saß 2013 im Publikum der ARD-Wahlkampfarena und erklärte der Bundeskanzlerin, dass er nichts gegen Leiharbeit in Produktionsspitzen habe, dass in seiner Firma die Produktionsspitze aber bereits 10 Jahre dauere. Das überraschte auch Angela Merkel.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Nur wenige Monate später landete das Thema Leiharbeit im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Um den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern, wurde im Kapitel „Gute Arbeit und Soziale Sicherheit“ festgelegt, die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher gesetzlich auf 18 Monate zu begrenzen. Außerdem sollen Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten „hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden“, heißt es dort. Das entspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach Arbeitnehmer gleichen Lohn für gleiche Arbeit verlangen können. Und: Der Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher soll verboten werden.

Eingegangen sind diese Vereinbarungen nun in einen Gesetzentwurf, den die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im November vorgelegt hat. Leiharbeit sei ein wichtiges Instrument, um Auftragsspitzen abzufedern, sie dürfe aber kein Einfallstor für Lohndumping und unfaire Arbeitsbedingungen sein, stellt sie klar. „Nach 18 Monaten Einsatz in einem Betrieb soll deshalb Schluss sein, es sei denn, Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren per Tarifvertrag einvernehmlich etwas anderes.“

Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf zur Neuregelung von Leiharbeit und Werkverträgen Mitte Dezember 2015 dem Kabinett vorgelegt werden, doch wurde er vom Bundeskanzleramt kurzerhand gestoppt, weil - so die offizielle Begründung - die Regelungen angeblich weit über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hinausgehen würden.

Mehr zum Gesetz finden Sie unter: Auch bei Leiharbeit: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

node:vw-infobox

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare