Inland

Nachruf auf Jürgen Schmude: Erfolgreich durch „traurig wirkende Gelassenheit“

25 Jahre lang war er Bundestagsabgeordneter, zudem von 1978 bis 1982 Bundesminister. Zudem engagierte er sich über viele Jahre in der evangelischen Kirche. Nun ist Jürgen Schmude im Alter von 88 Jahren gestorben.

von Norbert Bicher · 7. Februar 2025
Der frühere Bundesminister Jürgen Schmude ist im Alter von 88 Jahren gestorben.

Der frühere Bundesminister Jürgen Schmude ist im Alter von 88 Jahren gestorben.

Nichts an Jürgen Schmude war verfälscht. Inszenierungen, große Auftritte, beifallsheischende Werbung für die eigene Person  waren dem hageren Mann mit hochaufgeschossenem Gardemaß ein Gräuel. Es war die „traurig wirkende Gelassenheit“, wie er sein Auftreten selbst einmal beschrieb, oder die „liebenswürdige Korrektheit“, wie es Zeitgenoss*innen formulierten, die das politische und christliche Engagement des Juristen aus dem niederrheinischen Moers über Jahrzehnte prägte. Sowohl in der SPD als auch in der evangelischen Kirche. Statt langer Erklärungen reichten Schmude wenige Wörter als Begründung für diese Arbeit: „Schuldigkeit gegenüber den Mitmenschen“.

Mit Gustav Heinemann in die SPD

Jürgen Schmude wurde 1936 im ostpreußischen Insterburg geboren, musste als Achtjähriger mit seiner Familie 1944 fliehen, zunächst nach Pommern, bevor ihm der Niederrhein in den 50er-Jahren zur neuen Heimat wurde. Politisch fand er die gemeinsam mit seinem Vorbild Gustav Heinemann – später der erste sozialdemokratische  Bundespräsident – 1957 in der SPD. Nach kommunalen Ämtern in Moers zog er 1969  für die SPD in den Bundestag ein. Seinen Wahlkreis in Moers gewann er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Parlament 1994 immer direkt. Durch seine zurückhaltende Art – „die Sache ist alles in der Politik, die Person ist nichts“ – machte er sich in der Fraktion schnell als Vermittler in schwierigen Fragen einen Ruf, so bei der hoch emotionalen Neuregelung des Schwangerschaftsrechts.

Unter Kanzler Helmut Schmidt wurde er 1974 zunächst Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, 1978 Minister für Bildung und Wissenschaft und 1981 Justizminister. Das wird ihn besonders gefreut haben, da auch sein Vorbild und Freund Gustav Heinemann dieses Amt während der großen Koalition ab 1966 einmal innehatte. Im Kabinett, schrieb der Spiegel Ende der siebziger Jahre süffisant, habe Schmidt seine „Nebenbeschäftigung“ des Aktenlesens immer aufgegeben, wenn Schmude sich zu Wort meldete. 

Zurückhaltender, aber gefragter Ratgeber

Auch als Minister galt sein besonderes Augenmerk zur Freude von Fraktionschef Herbert Wehner immer der Deutschlandpolitik. Persönlich hatte er in den 60er-Jahren erfahren, wie mühsam es war, die Trennung der Menschen zwischen Ost und West zu überwinden. Lange musste er darum kämpfen, dass seine spätere Frau aus der DDR ausreisen durfte. Diese Kenntnis deutsch-deutscher Fallstricke und Eigenarten kam ihm zugute, als er 1985 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde und ab 1989 den kirchlichen Einigungsprozess mit Umsicht und dem Versprechen eines „kollegialen Mitspracherechts“ der ostdeutschen Landeskirchen begleitete. In der EKD war er so anerkannt, dass er mit 18 Jahren die längste Amtszeit als Präses hatte.

Schmude blieb auch nach seiner aktiven Zeit in der Politik ein zurückhaltender, aber gefragter Ratgeber. Von 2008 bis 2012 war er Mitglied im Deutschen Ethikrat. Später reduzierte er sein politisches und kirchliches Engagement eher auf den lokalen Bereich. Auftritte bei – neudeutsch – Events im Getümmel des Hauptstadtbetriebs wären dem Mann, dem jede Art von Theatralik fremd war, der aber ironischerweise neben Jura auch Theaterwissenschaften studiert hatte, ohnehin lästig gewesen. Wenn überhaupt hätte er sie vermutlich nur mit seiner „traurig wirkenden Gelassenheit“ ertragen können.

Jürgen Schmude ist am 3. Februar in seiner jahrzehntelangen Wahlheimat Moers im Alter von 88 Jahren gestorben. 

Autor*in
Norbert Bicher

arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren frei für den „Vorwärts". Danach war er Parlamentskorrespondent, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungs­ministeriums.

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