Nach Schulz-Rede: Wie Arbeitgeber gegen die Korrektur der Hartz-Reformen mobilisieren
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Die Reaktion von Arbeitgeberseite ließ nicht lange auf sich warten. Unmittelbar nach den kritischen Äußerungen von Martin Schulz an Teilen der Hartz-Reformen und seinen Vorschlägen, diese zu korrigieren, warnten Vertreter von Wirtschaftsverbänden vor den Gefahren für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Am Mittwoch setzte die von Arbeitgeberverbänden getragene Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft noch eins drauf: Mit ganzseitigen Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen warnte sie unter dem Motto „sozial ist, was Arbeit schafft“ davor, die Arbeitsmarktreformen zurückzudrehen und damit eine Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit zu riskieren.
Gegen den neoliberalen Mainstream
Wozu die Panik? Der designierte Kanzlerkandidat und Parteichef der SPD, Martin Schulz, hatte am Montag auf einer SPD-Arbeitnehmerkonferenz vor rund 750 Besuchern in der Bielefelder Stadthalle erklärt, dass die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt seit den 1990er Jahren eine schlechte Entwicklung genommen habe und das normale Arbeitsverhältnis unter Druck stehe. Schulz hatte zudem gesagt, dass die steigende Ungleichheit in Deutschland Realität sei und zu Unsicherheit bei den Menschen führe. Er hatte hinzugefügt, dass diese Entwicklungen keine Naturgesetze seien, sondern Resultat eines neoliberalen Mainstreams, der die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft als Wachstumshemmnisse sehe. Diese Sichtweise hatte Schulz daraufhin als „folgenschweren Fehler“ bezeichnet, den es zu korrigieren gelte.
Eine dieser Korrekturen hatte der 61-Jährige mit dem Versprechen, die Möglichkeit von sachgrundloser Befristung abzuschaffen, in Bielefeld konkret benannt. Dafür erhielt er großen Beifall.
Befristet Beschäftigte besonders armutsgefährdet
Zu Recht: Denn eine aktuelle Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Dezember 2016 stellt fest, dass mit knapp 20 Prozent aller Arbeitnehmer unter 35 Jahren besonders junge Menschen von befristeten Arbeitsverhältnissen betroffen sind. Auszubildende, Praktikanten oder Umschüler sind aus diesen Zahlen bereits herausgerechnet.
Mehr als ein Viertel (26,2 Prozent) dieser befristet Beschäftigten unter 35 verdienen demnach auch mit einer Vollzeitstelle weniger als 1100 Euro netto im Monat. Die Folgen: Sie sind wesentlich häufiger armutsgefährdet, seltener verheiratet und haben weniger Kinder.
Andere aktuelle Studien der Böckler-Stiftung machen auf weitere negative Entwicklungen im Zusammenhang mit den Hartz-Reformen aufmerksam, beispielhaft seien an dieser Stelle zwei genannt: Besonders schnelle und kostengünstige Trainings, die zu einer zügigen Vermittlung in den Arbeitsmarkt führen sollen, sollen Priorität gegenüber umfassenden beruflichen Qualifizierungen haben. Die negative Folge: Berufliche Weiterbildungen, die durch die Digitalisierung der Arbeitswelt wichtiger sind denn je, kommen gerade denjenigen am wenigsten zu gute die sie am dringendsten brauchen: Geringqualifizierten und Arbeitslosen.
Hartz-IV-Reformen verstärken soziale Ungleichheit
Geringqualifizierte sind zudem auch am stärksten von den Sanktionsmöglichkeiten betroffen, die den Übergang in Beschäftigung beschleunigen sollen. So zitiert die „Böckler Impuls“ Ausgabe 15/2016 neue Befunde des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die darauf hindeuten, dass Hartz-IV-Empfänger ohne oder mit niedrigem Schulabschluss häufiger sanktioniert werden als beispielsweise Abiturienten. Untersuchungen von Fallakten ergaben, dass den „Geringqualifizierten schlicht das nötige Know-how fehlt, um sich vor drohenden Sanktionen zu schützen“. Die Schlussfolgerung lautet: „Damit verstärkt das Sanktionssystem soziale Ungleichheit“.
Der SPD-Parteivorstand hat inzwischen auf die provokante Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft reagiert. Dort heißt es: „Lieber Martin, erinnerst du dich noch? 5,3 Millionen Arbeitslose, 12,5 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, 1,8 Millionen Langzeitarbeitslose. Deutschland war der kranke Mann Europas. Jetzt stehen wir dank der Agenda 2010 wieder gut da. Glaubst Du wirklich, mit Deiner Rolle rückwärts wird es besser?“
Die Antwort der SPD: „Liebe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, erinnerst Du Dich noch? Leider hast Du schon oft falsch gelegen. Ende 2014 zum Beispiel warst Du sicher, dass unser Mindestlohn über eine halbe Million Arbeitsplätze vernichten würde. Zwei Jahre später waren aber über 200.000 weniger Menschen arbeitslos. Deine Zeitungsanzeigen waren bestimmt teuer. Schade drum. Bitte frag uns doch das nächste Mal. Denn es gibt viele Initiativen, die mit einer kräftigen Spende von Dir viel Gutes machen können.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.