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Nach Merz-Aussage: Warum Asylsuchende nicht in Arztpraxen sitzen

SPD-Politikerin Katja Mast bezeichnet die jüngsten Aussagen von CDU-Chef Friedrich Merz als „unwürdig und gefährlich“. Und sie hat Recht: Denn für alle Asylbewerber*innen sind die Ansprüche auf Leistungen bei Krankheit gesetzlich definiert.
von Vera Rosigkeit · 28. September 2023
Vorerst ausgebremst: Friedrich Merz musste – auf massiven Druck aus den eigenen Reihen – am 24. Juli 2023 seinen Öffnungskurs zur AfD dementieren und korrigieren.
Vorerst ausgebremst: Friedrich Merz musste – auf massiven Druck aus den eigenen Reihen – am 24. Juli 2023 seinen Öffnungskurs zur AfD dementieren und korrigieren.

Erneut sorgt eine Aussage von CDU-Chef Friedrich Merz für Furore: In diesem Fall hetzt er über abgelehnte Asylbewerber*innen: Sein Vorwurf an die Bundesregierung, geäußert im „Welt-Talk“ des Fernsehsenders Welt lautet: „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

Leistungen bei Krankheit gesetzlich definiert

Der CDU-Chef müsste es besser wissen, denn die Ansprüche auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sind im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) genauestens definiert und notfalls auf der Seite des Bundesministeriums für Justiz nachzulesen. Auf dieser Grundlage hat die Kassenärztlichen Bundesvereinigung zudem einen Leistungskatalog für diese Personengruppe erstellt.

Im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), Paragraf 4 über Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt vor heißt es unter Absatz 1: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Auch die Leistungen zum vom Merz angesprochenen Zahnersatz sind explizit augeführt: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Was Ärzt*innen abrechnen dürfen

Was die Kostenübernahme angeht, so ist diese in einem Leistungskatalog der Kassenärztlichen Bundesvereinigung genauestens geregelt: Danach gilt der Leistungsanspruch von Asylbewerber*innen auf medizinische Versorgung einschließlich zahnärztlicher Behandlung grundsätzlich während der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts.

Danach haben Asylbewerber*innen beispielsweise generell keinen Anspruch auf eine Routineuntersuchung beim Zahnarzt. „Ist jedoch eine Untersuchung wegen akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen erforderlich, kann diese nach der BEMA-Nr. 01 abgerechnet werden“, heißt es dort. Anspruch auf eine Vorsorgeuntersuchungen haben allerdings schwangere Asylbewerberinnen laut Paragraf 4 Abs. 3 AsylbLG .

Was bei Zahnersatz gilt

Auch die Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen ist genaustens geregelt. Der Ersatz des Frontzahns ist danach als beispielsweise unaufschiebbar definiert, „da ein solches Unfallgeschehen im Frontzahnbereich — im Gegensatz zum Seitenzahnbereich — entstellend und psychisch äußerst belastend ist. Besteht jedoch eine Frontzahnlücke/fraktur bereits seit längerer Zeit, so gilt ihre Versorgung in der Regel auch als weiterhin aufschiebbar.

Liegt eine aktuelle Zahnfraktur im Seitenzahnbereich vor, die auch nicht übergangsweise mit einer Füllung versorgt werden kann, so kann die Versorgung mit einer Zahnkrone unaufschiebbar sein.“ Für eine mögliche Abrechnung gilt allerdings generell, dass alle Zahnersatzleistungen „vorab bei der zuständigen Stelle beantragt, entsprechend begründet und genehmigt werden“ müssen.

Keine 300.000 Asylbewerber*innen in Deutschland

Auch die zweite Aussage des CDU-Chefs ist falsch. In Deutschland gibt es keine 300.000 abgelehnte Asylbewerber*innen. Laut Mediendienst Integration waren zum Stichtag 30. Juni 2023 in Deutschland etwa 279.098 Menschen ausreisepflichtig. Von ihnen sind allerdings nur rund die Hälfte abgelehnte Asylbewerber*innen.

Insgesamt 81 Prozent der „Ausreisepflichtigen“ haben eine Duldung. Das heißt: Sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen, können aber „aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ nicht abgeschoben werden. Die Zahl der „unmittelbar Ausreisepflichtigen“ – also Personen, die gleich abgeschoben werden könnten – beläuft sich auf lediglich 54.330.

Katja Mast nennt Friedrich Merz „Oberspalter“

Fakt ist, dass Merz auf X, ehemals Twitter, inzwischen eine Lawine an Kritik losgetreten hat. Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte sich deutlich: „Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD. Und es ist falsch: Denn Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden.“

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast urteilt über die „erneute bewusste Entgleisung des Oberspalters“: „CDU-Chef Friedrich Merz bedient Vorurteile ohne Sachkenntnis. Er treibt das Land nach rechts. Unwürdig und gefährlich.“

Laut einer Meldung der „Bild“ habe die CDU den heiklen Satz zum Zahnersatz aus dem Video auf dem X- Profil der CDU/CSU-Fraktion herausgeschnitten. Ob aus Versehen oder mit Absicht, bleibt dahingestellt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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