Inland

Nach der Bundestagswahl: Wie es jetzt in der Flüchtlingspolitik weitergehen soll

Von der Obergrenze bis zu einem Untersuchungssauschuss gegen Angela Merkel – kurz nach der Bundestagswahl kursieren in Sachen Flüchtlingspolitik wilde Ideen. Menschenrechtler halten nichts von den Debatten. Sie fordern stattdessen eine „Rückkehr zur Rechtstaatlichkeit“ in Europa.
von Paul Starzmann · 27. September 2017
Flüchtlinge
Flüchtlinge

Am Wahlabend zeigte sich CSU-Chef Horst Seehofer noch zahm. Das schlechte Ergebnis seiner Partei bei der Bundestagswahl werde Konsequenzen haben, sagte er. Natürlich. Aber: das Reizwort „Obergrenze“, mit dem der bayerische Ministerpräsident zuvor Stimmung gemacht hatte, nahm er am Wahlabend noch nicht in den Mund. Erst am darauffolgenden Nachmittag stellte er klar: Seine Partei werde in der nächsten Regierung auf der Obergrenze bestehen. Punkt.

EU und Libyen: „organisierter Menschenrechtsbruch“

Allerdings werden es die Christsozialen mehr als schwer haben, ihre Idee von einer strikten Beschränkung der Flüchtlingszahlen durchzusetzen. Nicht nur, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie ihre potentiellen Koalitionspartner von Grünen und FDP dagegen sind. Sondern auch weil die Obergrenze nach Expertenmeinung nicht mit internationalem Recht vereinbar ist. Dies machten die beiden Menschenrechtsaktivisten Franziska Vilmar und Günter Burkhardt am Mittwoch in Berlin klar. Anlässlich des bundesweiten „Tag des Flüchtlings“ am kommenden Freitag stellten sie vor, wie es ihrer Meinung nach mit der Asylpolitik in Deutschland und Europa weitergehen soll.

An die künftige Bundesregierung gerichtet, sagte Burkhardt, der Geschäftsführer von „Pro Asyl“ ist: „Was wir erwarten, ist eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit“. Denn: In Sachen Flüchtlingspolitik habe die EU längst den Pfad der Humanität verlassen.

Im Mittelmeer finde ein „arbeitsteilig organisierter Menschenrechtsbruch“ statt, kritisierte Burkhardt. Er meinte damit die Kooperation zwischen Italien und Libyen. Deren Ziel sei es, Migranten im Mittelmeer abzufangen, um sie in lybischen Auffanglagern zu inhaftieren. Die dortigen Bedingungen seien katastrophal, unterstrich Franziska Vilmar von Amnesty International. Jeder wisse, dass die Lager „die Hölle“ seien. Trotzdem beteilige sich auch Deutschland an der Zusammenarbeit, indem die Bundesregierung dabei helfe, lybische Sicherheitskräfte auszubilden.

Amnesty fordert Ende des Türkei-Deals

Aus Vilmars Sicht ist das ein Fehler. „Die EU darf nicht Sicherheitskräfte von Ländern unterstützen, die Menschenrechte verletzen“, sagte sie. Die Kooperation mit Libyen müsse sofort beendet werden. Dasselbe gelte für den Flüchtlingsdeal mit der Türkei. „Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat“, stellte Vilmar klar. Es gebe dort kein funktionierendes Asylsystem, außerdem weder genügend Wohnraum noch ausreichend Versorgung für Geflüchtete. Trotzdem wolle die Politik in Europa jetzt den Türkei-Deal als „Blaupause“ für Verträge mit weiteren Staaten verwenden. Das Ziel ist nach Vilmars Überzeugung: „Die EU-Außengrenzen immer weiter nach Süden zu verschieben.“

In der Tat streben viele Politiker in der EU – Kanzlerin Merkel eingeschlossen – Abkommen mit Staaten wie Mali oder Tschad an, um schon in der Sahara afrikanische Migranten von der Weiterreise nach Norden abzuhalten. Dafür überlegten sich die Verantwortlichen immer neue „juristische Winkelzüge“, kritisierte Günter Burkhardt. Das Ziel sei, dass kaum mehr ein Flüchtling nah genug an die EU-Grenzen herankomme, um in Europa Asyl beantragen zu können. Burkhardt fasste das ironisch zusammen: „Europa ist eine Wertegemeinschaft – Hauptsache nur, niemand nimmt diese Werte in Anspruch.“

Deswegen müsse die nächste Bundesregierung einen „Neustart“ der Asylpolitik anstoßen, forderten die Aktivisten von Pro Asyl und Amnesty International: dieser müsse einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan, die Wiedereinführung des Familiennachzugs für Menschen mit subsidiärem Schutz und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa umfassen.

Rechtliche Nachhilfe für AfD-Abgeordnete

Von der Idee der AfD, im künftigen Bundestag einen Untersuchungssauschuss zum „Flüchtlingssommer 2015“ einzusetzen, hält Günter Burkhardt wenig. „Das ist eine von der Realität losgelöste Debatte“, sagte er.

Die Hauptfrage des geforderten Untersuchungssauschusses sei längst geklärt: Anders als von der AfD behauptet sei der Zuzug der Flüchtlinge im Sommer 2015 ohne jeden Zweifel auf der Basis geltenden Rechts erfolgt – nach dem „Selbsteintrittsrecht“ der Dublin-Verordnung, das Staaten ermöglicht, Asylerfahren innerhalb der EU an sich zu ziehen. Kein Rechtsbruch also, wie von den Rechtspopulisten unterstellt.

Aber, ergänzte Günter Burkhardt: Den neuen Bundestagsabgeordneten der AfD, die den Ausschuss jetzt fordern, müssten das deutsche Rechte und die europäischen Gesetze vielleicht auch erst einmal „vorgelesen und ausbuchstabiert“ werden. Juristische Nachhilfe für die AfD sozusagen. „Das wäre vielleicht mal ganz sinnvoll.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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