Nach Corona-Infektionswelle: SPD will Fleischindustrie zu mehr Arbeitsschutz zwingen
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Während die Gesamtzahl der Neuinfektionen bei Covid-19 in Deutschland insgesamt rückläufig ist, rückt seit einigen Tagen die Fleischindustrie in den Fokus: Unter den Beschäftigten breitete sich in den großen Zerlegebetrieben das Virus zuletzt stark aus. Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ein Hinweis auf Verstöße gegen Hygieneregeln und Arbeitsschutz: „Deswegen werden wir in dieser Branche aufräumen“, kündigte er schon zu Beginn der Woche an und legte am Mittwoch dem „Corona-Kabinett“ eine Beschlussvorlage vor, die auf Zustimmung stieß.
Verbot von Werksverträgen und Arbeitnehmerüberlassung
Der Vorstoß des Sozialdemokraten sieht mehrere Punkte vor, die in den kommenden Monaten in Gesetze gegossen und beschlossen werden sollen. Zentral ist dabei das Verbot von Werksverträgen und der Arbeitnehmerüberlassung. Die bisherigen Arbeitsstrukturen, bei denen in den großen Fleischfabriken Mitarbeiter*innen von „Sub-Sub-Subunternehmen“ arbeiten, bezeichnete Heil am Mittwoch als „Wurzel des Übels“. Mitarbeiter*innen sollten künftig regulär angestellt werden, direkt im Betrieb.
Die undurchsichtigen Strukturen in der Branche hätte es den Behörden schwer gemacht, die Arbeitsverhältnisse nachzuvollziehen und Verstöße gegen bestehende Gesetze aufzudecken – etwa beim Arbeitsschutz, Hygienestandards oder Arbeitszeiten. Standards, die sich im übrigen auch auf die Unterbringung der Beschäftigten in Unterkünften erstreckt, betonte Heil. In der fleischverarbeitenden Industrie arbeiten auch viele Menschen aus dem europäischen Ausland. Per Gesetz soll nun geregelt werden, dass ebenjene in ihrer Muttersprache über ihre Arbeitsrechte aufgeklärt werden.
Skandalöse Zustände in Unterkünften
Parallel dazu sollen die Kontrollen durch die Behörden massiv verschärft werden und Verstöße mit höheren Bußgeldern geahndet werden. Darüber hinaus sollen die Unternehmen selbstständig umfangreich Auskunft darüber geben, wo die Mitarbeiter*innen untergebracht werden, die Schweine und Rinder zerlegen und weiterverarbeiten. „Das ist notwendig“, rechtfertigte Heil die zusätzlichen Pflichten. Offenbar hätten vor allem die skandalösen Zustände in den Unterkünften zu einer Weiterverbreitung des neuen Coronavirus beigetragen.
Der Arbeitsminister hatte schon zu Beginn der Woche von „Wuchermieten“ und überbelegten „Massenunterkünften“ gesprochen. Ins Visier nimmt Heil dabei vorrangig die Großbetriebe, wie er mehrmals betonte – nicht aber die kleinen Fleischereien „auf dem Land“ oder die Fleischtheke im Supermarkt, bei der vor Ort bestellte Ware für den Kunden verarbeitet wird.
Verbot von Werksverträgen bis 2021
Ein Gesetzesentwurf soll möglichst bald ins Parlament eingebracht werden, versprach Heil. Nach seinen Vorstellungen könnte das Verbot von Werksverträgen mit Beginn des Jahres 2021 in Kraft treten. Andere Regeln aus dem Eckpunktepapier, beispielsweise die digitale Zeiterfassung um Betrug bei den Arbeitszeiten vorzubeugen, könnten schon früher gelten. Heil geht dabei von heftigem Widerstand aus der Industrie aus, appellierte aber gleichzeitig an die Unternehmen, ihre Beschäftigungsstrukturen schon jetzt zu verändern.
„Es ist nicht aus der Welt, Beschäftigte anzustellen.“ Es gebe sicherlich auch Unternehmer*innen in der Branche, die sich um Einhaltung der Standards bemühten und ordentliche Löhne zahlten, aber: „Für ein Geschäftsmodell, das die Ausbeutung von Menschen und die Ausbreitung von Pandemien in Kauf nimmt, kann es in Deutschland keine Toleranz geben.“ Die Selbstverpflichtungen der Industrie hätten nicht getragen, sagte er mit Verweis auf die jüngsten Probleme.
Mast: Ein Problem im System
Für SPD-Fraktionsvize Katja Mast ist das Eckpunkteprogramm für die Fleischindustrie schon jetzt eine wirksame Maßnahme: „Dort wo Sumpf ist, wird er ausgetrocknet.“ Geschäftsmodelle in der Fleischindustrie dürften sich nun substanziell ändern. Die Sozialdemokratin empfiehlt eine schnelle Umsetzung der beschlossenen Eckpunkte. „Dieser Kabinettsbeschluss muss eins zu eins umgesetzt werden.“ Sowohl Mast als auch Heil sind sich einig darin, dass es bei den jüngsten Infektionsherden in den Betrieben nicht mehr um Einzelfälle, sondern ein Problem im System handelt.
Damit prallt die Kritik aus der Industrie an der SPD ab, die auch in der aktuellen Lage noch vor schärferen Regeln gewarnt hatte. Fleischfabrikant Clemens Tönnies beispielsweise schrieb Hubertus Heil einen Brief, in dem er vor dem Verbot von Werksverträgen warnte. Das Verbot habe massive, negative Auswirkungen auf die Fleisch- aber auch die Agrarwirtschaft, warnte er in dem Schreiben und sprach sich stattdessen für einen Branchenmindestlohn und Reformen des bestehenden Systems aus, inklusive einer Haftung von Subunternehmer*innen bei der Unterbringung ihrer Mitarbeiter*innen.
Ein Vorschlag, von dem sich Hubertus Heil offenbar unbeeindruckt zeigte.Er gehe im parlamentarischen Verfahren davon aus, dass sich Interessenvertreter*innen zu Wort melden würden, sagte er am Mittwoch, auch juristische Auseinandersetzungen erwartet er. Mit Blick auf andere Branchen, in denen ähnliche Regeln gelten, sieht der Arbeitsminister aber keine Problem, ein verfassungskonformes Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Rechte der Beschäftigten schützt und die Verantwortung der Unternehmen erhöht.