Nach Attentat in Wächtersbach: SPD fordert schärfere Waffenkontrollen
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Nachdem am Montag im hessischen Wächtersbach (bei Frankfurt) ein 26-jähriger Eritreer angeschossen wurde, reagierten am Dienstag die Bürger in der 12.000-Einwohner-Stadt mit einer Mahnwache gegen Rassismus. Rund 400 Menschen protestieren gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Natürlich ist auch Heinz Lotz, SPD-Landtagsabgeordneter für den östlichen Main-Kinzig-Kreis in dem Wächtersbach liegt, dabei. Der Sozialdemokrat sieht klare Parallelen zum Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Kassel vor acht Wochen. Aus seiner Sicht werden die Einwohner von der Rethorik der Rechtsextremen und Rechtspopulisten angestachelt. „Die Menschen werden regelrecht kirre gemacht“, sagt er im Gespräch mit dem „vorwärts“. „Ich sehe da klare Zusammenhänge mit dem Erstarken der AfD.“
Das rassistische Gedankengut allerdings, meint Lotz, sei schon immer da gewesen. „Den Bodensatz hatten wir schon immer in der Gesellschaft.“ Es ist die zweite rassistisch motivierte Tat binnen zwei Monaten in dem Bundesland: Im Juni erschoss Stephan E. in Nordhessen den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Trotzdem verwehrt sich Lotz dagegen, dass Hessen deswegen ein besonderer Nährboden für Rechtsextreme ist. „Das sollte man auch gar nicht länderbezogen sehen“, argumentiert er, „wir haben diese Probleme in ganz Deutschland.“ Zwar gab es schon in der Vergangenheit Wahlen, bei denen die rechtskonservativen Republikaner in kleinen hessischen Orten viele Stimmen holten, erinnert sich Lotz. Aber solche Wahlergebnisse sieht Lotz bundesweit. „Das ist erschreckend.“
Hessische NSU-Akten endlich freigeben
Deswegen müssten auch die hessischen Akten zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) endlich komplett auf den Tisch. „Damit wir die Szene durchleuchten können“, fordert Lotz mit Blick auf den hessischen Innenminister Peter Beuth, „es darf nicht sein, dass die noch über Jahrzehnte unter Verschluss bleiben!“
Auch die Jusos aus Hessen-Nord und Hessen-Süd erneuerten diese Forderung nach dem Attentat in Wächtersbach. „Das fremdenfeindliche Verbrechen in Wächtersbach ist kein Einzelereignis. Deutschland hat schon seit langem ein Problem mit rechtsradikaler Gewalt und diese Gewalt nimmt zu“, sagt René Petzold, nordhessischer Juso-Vorsitzender. Auch aus dem Main-Kinzig-Kreis stammten einzelne rechtsextreme Aktivisten, seien rechte Gruppierungen aktiv, sagen Pätzold und Natalie Pawlik, Bezirksvorsitzende der südhessischen Jusos. „Auch diese Region hat braune Flecken", so Pawlik. Diese Strukturen und die Hetze in sozialen Netzwerken würden auch in Hessen einen Nährboden für rechtsextremistisches Gedankengut schaffen. „Und dieser verbreitete Hass führt zu Gewalt", so Pätzold.
Pätzold, Pawlik und auch Lotz sind sich darin einig, dass diese rechten Tendenzen zu lange toleriert wurden. „Wir müssen da viel mehr tun“, fordert Lotz, der sich schon seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus vor Ort engagiert. Auch die hessischen Juso-Bezirksvorsitzenden sind sich einig: „Die schwarz-grüne Landesregierung kann jetzt nicht einfach wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Wir brauchen ein offensives Vorgehen gegen die rechtsextreme Szene in Hessen.“ Die hessische SPD-Fraktion hatte schon nach dem Mord an Walter Lübcke eine Offenlegung der NSU-Akten verlangt, die zu dem Zeitpunkt noch für 120 Jahre gesperrt gewesen waren – inzwischen hat die CDU-geführte Landesregierung den Sperrvermerk auch auf Druck der Opposition die Dauer auf 30 Jahre reduziert.
Schäfer-Gümbel fordert schärfere Waffenkontrollen
Thorsten Schäfer-Gümbel, kommissarischer Parteivorsitzender der SPD, brachte unterdessen eine Verschärfung des Waffenrechts ins Spiel. Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland forderte er eine stärkere Kontrolle von Waffenbesitzern: „Es geht dabei explizit nicht darum, Sportschützen oder Jäger zu traktieren, aber ich fordere, die Waffen von objektiv unzuverlässigen Personen wie Reichsbürgern und Rechtsextremen konsequent einzuziehen“, mahnte Schäfer-Gümbel, der gleichzeitig hessischer Landesvorsitzender ist. Der 55-Jährige Schütze war medienberichten zufolge aktives Mitglied in einem Schützenverein und soll mehrere Waffen besessen haben.
„Wenn jemand wie der spätere Schütze von Wächtersbach am Stammtisch öffentlich damit prahlt, was er vorhat, dann muss man die Behörden darüber informieren - auch wenn es unangenehm ist“, ergänzte Schäfer-Gümbel. Nicht nur der Rechtsstaat sei gefordert, auch die Zivilcourage aller Demokraten sei in solchen Fällen gefragt.
Am Montag wurde im hessischen Wächtersbach ein 26-jähriger Eritreer angeschossen und schwer verletzt. Aus Sicht der Ermittler hatte der Täter ein klar fremdenfeindliches Motiv, er hatte das Opfer offenbar aufgrund seiner Hautfarbe ausgewählt. In einer Kneipe soll er die Tat angekündigt haben, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Wirt. Nach dem Angriff erschoss sich der 55-Jährige aus einem Nachbarort von Wächtersbach laut Polizei selbst. Der Eritreer musste notoperiert werden, inzwischen ist er laut Staatsanwaltschaft aber außer Lebensgefahr.
Bei dem 55-Jährigen Schützen gegen die Ermittler derzeit von einem Einzeltäter aus, laut Staatsanwaltschaft gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass der Täter in rechtsradikale Kreise eingebunden war.
Hass im Netz widersprechen
Bettina Müller, die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis, in dem Wächtersbach liegt, zeigte sich im Nachgang der Tat besonders erschüttert über die Kommentare in den sozialen Medien. Indirekte Gewaltandrohungen seien keine Seltenheit, ebenso würde die Tat von einer lauten Minderheit relativiert. „Wenn wir eine Lehre aus dieser erneuten, rassistischen Tat ziehen wollen, dann dass die demokratische Mehrheit hier nicht schweigen darf!“, antwortete sie dazu auf Twitter.
Rechte Hetze mündet immer wieder in Gewalttaten - um das in Zukunft zu verhindern, sind nicht nur Polizei und Sicherheitsbehörden gefordert, auch wir Bürgerinnen und Bürger können unseren Beitrag leisten. Also: nicht schweigen, sondern den Mund aufmachen!
— Bettina Müller (@BetMueller)July 25, 2019