Muslimischer Judenhass - „Die Konflikte werden zunehmen“
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Nach dem antisemitischen Angriff Mitte April in Berlin, bei dem zwei Kippa tragende Männer von einem syrischen Flüchtling äußerst brutal attackiert wurden, rieben sich viele Menschen verwundert die Augen. Woher kommt die aufflammende Gewalt von Muslimen gegen Juden? In der Vergangenheit hatten vergleichbare Übergriffe regelmäßig für Schlagzeilen gesorgt, wirklich angekommen war das Problem im Bewusstsein der Gesellschaft aber offensichtlich nicht. „Das Thema haben wir uns lange genug nicht angeschaut“, sagt Islamwissenschaftler Michael Kiefer bei einer Veranstaltung von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ in Berlin. Der gewalttätige, muslimische Judenhass sei kein neues Phänomen in Deutschland.
Direkt in die Wohnzimmer
Für den Wissenschaftler von der Universität Osnabrück ist der 2. Oktober 2000 ein entscheidendes Datum, als zwei Araber die Düsseldorfer Synagoge anzündeten. „Das war die vermutlich erste Gewalttat gegen eine jüdische Einrichtung durch islamische Migranten in Deutschland“, sagt Kiefer. Nur fünf Tage später demonstrierten Palästinenser in Essen und zertrümmerten die Fensterscheiben einer Synagoge. Vergleichbare Vorfälle habe es zuvor nicht gegeben, so der Wissenschaftler.
Auslöser für die Gewalt sei die „Zweite Intifada“ in Israel und den Palästinensergebieten gewesen. Bei dem palästinensischen Aufstand im Jahr 2000 kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften. Der Unterschied zu vorangegangenen Konflikten: „Arabische Fernsehsender wie Al Jazeera haben angefangen, hoch emotionalisiert über den palästinensischen Konflikt zu berichten.“ Die TV-Stationen, die zuvor nicht zu empfangen gewesen seien, sendeten nun per Satellit „direkt in die Wohnzimmer“ in europäische Städte. Dabei bekamen die Zuschauer Reporter zu sehen, die sich für die Palästinenser wie eine Kriegspartei benommen hätten und die „schwer auf Krawall gebürstet“ gewesen seien.
Flexibler Code
Große Wirkung habe auch der Tod eines palästinensischen Jungen bei Zusammenstößen mit israelischen Soldaten gehabt. Die Hintergründe des Falls seien bis heute ungeklärt, aber damals sei im Nahen Osten die Parole vom „Kindsmörder Israel“ geboren worden. Daraus ist laut dem Islamwissenschaftler ein „hochwirksamer Opfermythos“ entstanden, der auch in den arabischen Gemeinden in Großbritannien, Frankreich und Deutschland lebe.
Hinzu komme, dass im Nahen Osten der antizionistische und israelbezogene Antisemitismus eine herausragende Rolle spiele, so der Islamwissenschaftler. Diese Variante habe sich außerdem mit älteren Formen des Judenhasses vermischt. So sei beispielsweise das Klischee des jüdischen Ritualmords, der aus dem christlichen Antisemitismus bekannt ist, modifiziert worden: In arabischen und türkischen Spielfilmen und Serien würden Juden als Organräuber dargestellt. „Der Antisemitismus ist im Nahen Osten ein flexibler Code, der sich aus vielen Einflüssen speist“, beschreibt Michael Kiefer. Er lasse sich mit jeder Ideologie und Religion verbinden, auch mit dem Koran.
Propaganda und Verschwörungstheorien
Zwar verweist der Islamwissenschaftler auf mehrere Suren im Koran, in denen die Juden in einem schlechten Licht dargestellt würden. Allerdings: „Diese Suren begründe keinen militanten Antisemitismus in den arabischen Gesellschaften.“ Erst mit dem Nahostkonflikt kamen laut Kiefer antijüdische Propaganda und Verschwörungstheorien auf. Ab den 1960er Jahren habe sich die Theorie von einer internationalen Verschwörung entwickelt, mit der das Bestehen Israels und dessen Siege über die arabischen Armeen begründet wurde. Gleichzeitig sei Antisemitismus in arabischen Ländern wie Syrien über Jahrzehnte Staatsideologie gewesen – mit der entsprechenden Wirkung auf die Menschen. Die Befürchtungen der deutschen, jüdischen Gemeinden vor syrischen Flüchtlingen sind für den Islamwissenschaftler daher „nicht ganz unbegründet“.
Wie lässt sich der arabische Antisemitismus angehen? Für Michael Kiefer kommt der Schule in Deutschland dafür eine entscheidende Rolle zu. „Wir müssen die Schule viel mehr korreliert mit der Lebenswelt betrachten“, sagt Michael Kiefer. Bislang spiele etwa der Nahostkonflikt in den Geschichtsbüchern keine Rolle. Der Unterricht muss laut Kiefer daher auf Schüler eingehen, die einen Migrationshintergrund haben. Außerdem solle das Thema in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer einfließen. Die Lehrkräfte müssten im Umgang mit Konfrontationen geschult werden. Islamwissenschaftler Michael Kiefer stellt klar. „Die Konflikte werden zunehmen. Wenn wir uns nicht anders aufstellen, geht das schief.“