Inland

Mordfall Lübcke: Hessische SPD sieht Parallelen zu NSU-Ermittlungen

Der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke in Kassel sorgt für Entsetzen, seitdem ein polizeibekannter Rechtsextremer verhaftet wurde, wird bundesweit wieder über rechte Gewalt diskutiert. Die SPD in Hessen sieht Parallelen zum NSU-Mord in Kassel.
von Benedikt Dittrich · 19. Juni 2019

Mehr als zwei Wochen wurde im Mordfall Lübcke ermittelt, inzwischen hat die Polizei einen dringend Tatverdächtigen Mann festgenommen. Stephan E. werden in übereinstimmenden Medienberichten Verbindungen zur NPD nachgesagt, außerdem war er nachweislich an einem Überfall auf eine DGB-Demonstration in Dortmund 2009 beteiligt. Schon 1993 hatte er versucht, vor einer Flüchtlingsunterkunft in Hessen eine Rohrbombe zu zünden. Für den Versuch wurde er rechtskräftig verurteilt. Auch im NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen soll sein Name gefallen sein, er soll Verbindungen zu "Combat 18" gehabt haben, dem bewaffneten Arm des in Deutschland verbotenen rechtsextremen Netzwerks „Blood and Honour“. In den vergangenen Jahren soll er sich aber unauffällig verhalten haben.

Vor diesem Hintergrund fordert die hessische SPD eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls. „Wir haben gemeinsam mit der FDP eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt“, kündigte die Innenpolitische Sprecherin und Generalsekretärin Nancy Faeser an. Die hessische Fraktionsvize ärgert sich darüber, dass der Landtag bisherige Ermittlungsergebnisse nur aus den Medien erfahre. Kommende Woche soll deswegen der Innenminister des Landes Hessen, der CDU-Politiker Peter Beuth, Rede und Antwort stehen.

Außerdem rückt die Rechtsexpertin die Ermittlungsbehörden in den Fokus: „Wir müssen die Frage klären, wieso der mutmaßliche Täter offensichtlich aus dem Blickfeld von Polizei, Staatsschutz und Verfassungsschutz verschwunden ist.“ Aus der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses wisse man, dass es stabile rechte Netzwerke in Hessen gibt.

Generalbundesanwalt ermittelt im Mordfall Lübcke

Anfang der Woche hatte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen, als sich der Verdacht eines rechtsextremen Motivs erhärtete. Walter Lübcke wurde nach ersten Ermittlungsergebnissen in seinem Wohnort Wolfhagen-Istha im Kreis Kassel mit einem Kopfschuss getötet. Die Tatwaffe wurde bisher noch nicht gefunden, einen Suizid schloss die Polizei aus. Inzwischen gibt es außerdem Hinweise auf Mitwisser. Auch der CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier schließt ein rechtsextremistisches Netzwerk nicht aus, sagte er am Mittwoch im hessischen Landtag.

Nach einer Bürgerversammlung im Jahr 2015 erhielt Lübcke Morddrohungen, stand zwischenzeitlich unter Polizeischutz. Damals sollte ein alter Baumarkt als Notunterkunft für Flüchtlinge hergerichtet werden, nach mehreren Zwischenrufen verteidigte Lübcke die Flüchtlingspolitik mit den Worten: „Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Der Hass auf den Regierungspräsidenten wurde seitdem immer wieder neu angeheizt, unter anderem von Erika Steinbach im Februar 2019. Die Ex-CDU-Politikerin und Asylkritikerin hatte die Aussage von Lübcke wieder aufgegriffen und dazu aufgerufen, lieber die CDU als das Land zu verlassen. Vor diesem Hintergrund äußerte Nancy Faeser Unverständnis darüber, warum trotz der bekannten Drohungen aus der rechten Szene zunächst im privaten Umfeld von Lübcke ermittelt wurde. „Auch die Einzeltäter-These muss auf den Prüfstand“, ergänzt die Juristin.

Spott und Häme im Internet

Der Tod von Walter Lübcke wurde in den sozialen Medien vielfach hämisch und spöttisch kommentiert, teilweise sogar begrüßt. Das treibt auch Nancy Faeser um, abseits des schrecklichen Mordes: „Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass sich der gesamte gesellschaftliche Diskurs nach rechts verschoben hat.“ Eine Veränderung, gegen die sich alle Demokraten wehren müssten.

Sofortmaßnahmen gebe es beim Kampf gegen Rechtsextremismus allerdings leider nicht. „Die allermeisten in der Szene haben sich über Jahre radikalisiert“, erklärt die Rechtsexpertin. Deswegen sei Präventionsarbeit so wichtig, um ein allmähliches Hineingleiten in den Extremismus zu verhindern. „Das haben wir aber auch schon als Ergebnis aus dem NSU-Untersuchungsausschuss gefordert.“ Wichtig wäre es auch, der politischen Bildung einen höheren Stellenwert einzuräumen, so Faeser, die selber dem Ausschuss angehörte, der bis 2018 den NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel im Jahr 2006 untersuchte.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare