„Mitte-Studie“: Weniger Menschen lehnen Antisemitismus klar ab
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Geht es um Rassismus und offene Fremdenfeindlichkeit, können die Ergebnisse der „Mitte-Studie“ Hoffnung machen. Denn: Laut der repräsentativen Umfrage im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung sinkt die Zahl derjenigen, die offen rechtsextremen Aussagen klar zustimmen. Es ist auch ein länger anhaltender Trend, der bereits in der Vergangenheit sichtbar wurde und den offenbar auch die Corona-Pandemie nicht gebremst hat. Befragt wurden die Menschen nämlich zwischen Dezember 2020 und Januar 2021.
Gleichzeitig scheint die Aufmerksamkeit für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zugenommen zu haben: Die befragten Personen sehen Rechtsextremismus überwiegend als größte Gefahr für Deutschland an, knapp gefolgt vom Klimawandel. Von einem „Aufwachen“ spricht Autorin Beate Küpper dabei. Davon, dass viele durch die Berichterstattung der vergangenen Jahre und die Arbeit der Sicherheitsbehörden, aber auch durch rechtsextreme Übergriffe „aufgeschreckt“ worden seien. Insgesamt sinke die Zahl derjenigen, die offen rechte Aussagen teilen, die auf eine rechtsextreme Grundhaltungen schließen lassen.
Antisemitismus: Der Graubereich wächst
Allerdings sind die Werte mit Vorsicht zu genießen. Darauf weisen sowohl Küpper als auch Co-Autor Andreas Zick hin. Denn obwohl insgesamt die Demokratie in Deutschland hohe Zustimmung genieße und das Vertrauen in politische Institutionen sowie öffentlich-rechtliche Medien sehr hoch sei, haben die Forscher*innen eine Zunahme von ambivalenten Antworten bei vielen Fragen festgestellt. Denn die Befragten konnten auch „teils, teils“ antworten, wenn sie sich nicht klar positionieren konnten oder wollten.
Das bedeutet beispielsweise, dass die Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ von jeder fünften Person nicht klar abgelehnt wird. Solche Aussagen lassen nach Ansicht der Autor*innen auf eine antisemitische Haltung schließen, auch wenn nur wenige dieser Behauptung direkt offen zustimmen. Das hat laut Küpper auch damit zu tun, dass die 1750 Menschen, die telefonisch befragt wurden, einem Menschen antworten mussten und eben nicht nur einen Fragebogen ausfüllten. Die Antworten fielen bei dieser Methode üblicherweise eher „konservativ und zurückhaltend“ aus, so die Professorin für Soziale Arbeit. Auch würden offen Rechtsextreme seltener an solchen Umfragen teilnehmen.
AfD-Sympathie und Verschwörungsglaube eng beieinander
Außerdem sehen die Wissenschaftler*innen einen Zusammenhang zwischen Wahlerfolgen der AfD und dem Glauben an Verschwörungsmythen, die ebenfalls als Gefahr für die Demokratie gesehen werden. Mythen wie etwa eine Zwangsimpfung haben während der Pandemie Konjunktur.
So wurde in Bundesländern in Ostdeutschland, in denen die AfD jüngst hohe Zustimmung genoss, nicht nur eine höhere Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen gemessen, erklärte Küpper. Auch Ansichten, Politiker*innen und Medien steckten unter einer Decke oder wären nur Marionetten einer geheimen Macht, erhielten dort mehr Zustimmung. Die Forscher*innen sehen darin einen deutlichen Zusammenhang.
Die jüngste Ausgabe der „Mitte-Studie“ trägt den Titel „Die geforderte Mitte“, was Andreas Zick vor allem damit begründet, dass die Gesellschaft als Ganzes gefordert sei, diejenigen Menschen, die sich eben noch nicht offen rechtsextrem positionierten, zurück in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Dafür brauche es die Unterstützung aus der Politik und der politischen Bildung, aber auch einer aktiven Zivilgesellschaft. Denn einen weiteren Zusammenhang sehen die Wissenschaftler*innen auch: In Regionen mit intakten gesellschaftlichen Strukturen, mit aktiven Projekten zur politischen Bildung, sei die Ablehnung rechtsextremer Aussagen größer, die Fremdenfeindlichkeit geringer. „Wir brauchen die Prävention vor Ort“, sagte Zick und warnte außerdem davor, dass viele Menschen der Meinung seien, sich politisch zu engagieren sei sinnlos.
Forderung: Politische Bildung absichern
Dabei plädierten die Autor*innen vor allem dafür, bestehende Bildungsprojekte zu verstetigen und finanziell abzusichern – so wie es auch viele Bildungsinitiativen seit längerem fordern. Die SPD wollte diese Forderung auch mit dem Demokratiefördergesetz politisch auf den Weg bringen, in dieser Legislaturperiode scheiterte der Vorstoß aber erneut am Widerstand der Union.
Die Mitte der Gesellschaft sei nicht nur gefordert, so Andreas Zick abschließend, sie könne auch gefordert werden, mit Unterstützung der demokratischen Institutionen. Franziska Schröter, die die „Mitte-Studie“ im Namen der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgibt, sieht in der Umfrage auch den Auftakt für weitergehende politische Debatten als auch daran anknüpfende Bildungsprojekte.