Inland

Mitgliedschaft in einer Partei? Nur wenige sagen Ja

Sichere Listenplätze für junge Leute? Parteien müssen den Mut haben, neue Wege zu gehen. Denn nur noch drei Prozent der Jugendlichen wollen Mitglied einer politischen Partei werden, lautet das Ergebnis einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
von Renate Faerber-Husemann · 11. März 2016
Jugendliche fühlen sich von Parteien wenig angesprochen: Wo sind die jungen Politiker, die als Vorbilder dienen?
Jugendliche fühlen sich von Parteien wenig angesprochen: Wo sind die jungen Politiker, die als Vorbilder dienen?

Johanna Uekermann, Bundesvorsitzende der Jusos, sah während einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bonn, bei der die Grauköpfe, also die Jusos aus den Zeiten Willy Brandts, deutlich dominierten, keinesfalls die große Wende hin zur Lust auf Politik: „69 Prozent aller Jugendlichen sagen, Politiker kümmern sich nicht darum, was ich denke.“ Und sie sprach aus, was wohl so ziemlich jeder Ortsverein aus der Praxis kennt: „Das Engagement junger Leute ist spontan. Sie wollen nicht beim Sommerfest des Ortsvereins herumhängen. Und sie wollen nicht nur zum Flyer-Verteilen geholt werden.“

Sichere Listenplätze für junge Leute

Die Bereitschaft zur Mitarbeit hängt von anderen Faktoren ab als in früheren Zeiten: „Parteiarbeit muss sich von Grund auf ändern. Man muss mitarbeiten können ohne Mitgliedschaft.“ Ein ganz wichtiger Punkt war für Johanna Uekermann: „Es muss sichere Listenplätze für junge Leute geben, damit sie wieder sichtbar werden. Das gilt für Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen.“

Ein schockierendes Ergebnis der Studie hängt wohl mit den real existierenden Strukturen in den Parteien zusammen, vor allem vor Ort, wo Basisarbeit und eine „Willkommenskultur“ gefragt wären – aber wohl zu wenig stattfinden: Zur Mitgliedschaft in einer politischen Partei drängt es nur noch drei Prozent der befragten jungen Leute. Und ebenfalls nur drei Prozent äußerten großes oder sehr großes Vertrauen zu politischen Parteien. Die Unlust hängt zusammen mit einem Unwissen darüber, wie sie sich in Parteien einbringen könnten. Auch hier wäre also Informationsarbeit gefragt.

Positive Vorbilder in der Politik fehlen

2075 repräsentativ ausgewählte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beteiligten sich an der Umfrage. Einige von vielen Ergebnissen: Mit 72 Prozent  engagierten sich deutlich mehr Jungen als Mädchen (28 Prozent) politisch. „Außerdem ist die Chance für eine politisch-gesellschaftliche Teilhabe bei Jugendlichen mit einer niedrigeren Bildung um 38 Prozent niedriger als bei Jugendlichen mit einer höheren Bildung,“ so die Friedrich-Ebert-Stiftung. „Je stärker Wertorientierungen wie Verantwortungsbereitschaft und kritisches Bewusstsein ausgeprägt sind, desto wahrscheinlicher ist ein politisches Engagement.“

Dass sich nur noch wenige Jugendliche vorstellen können, ein politisches Amt zu übernehmen (29 Prozent), Mitglied in einem Jugendparlament oder kommunalen Gremium zu werden (28 Prozent) oder aktiv in einer Gewerkschaft mitzuarbeiten (38 Prozent) hängt wohl auch damit zusammen, dass die positiven Vorbilder durch junge Politiker fehlen.

Mehr Mut, neue Wege zu gehen

Wolfgang Gaiser, Jugendforscher beim DJI, beschäftigte die Frage, wie man junge Menschen aus dieser politischen Lethargie herausholen, sie für politisches Engagement doch noch gewinnen könnte: Gezielt sollten junge Mädchen und Frauen angesprochen werden. Mit der Diskussion gesellschaftlicher Fragen müsste in Schule und Elternhaus ganz früh angefangen werden. Junge Leute mit  niedrigerer Schulbildung dürften dabei nicht weiterhin vernachlässigt werden, denn die Erfahrung zeige, sei das politische Interesse erst einmal geweckt, spielten Schulabschlüsse keine Rolle mehr. Interessant ist die Erkenntnis, dass es bei politischem Interesse oder Desinteresse keine Unterschiede gibt zwischen Jugendlichen aus deutschen und aus Migrantenfamilien.

Von den Parteien forderte der Wissenschaftler mehr Mut, neue Wege zu gehen: „In den Programmen muss sich zeigen, dass politische Veränderungen erwünscht sind.“ Für die Studie wurden zusätzlich 20 junge Frauen mit einem besonders hohen Maß an politischem Interesse in ausführlichen, mehrstündigen Interviews befragt.  Eines der Ergebnisse sollte Eltern, Schulen, Parteien nachdenklich stimmen. Eine junge Muslima mit palästinensisch-französischen Wurzeln aus  einem politischen Elternhaus sagte: „Wir lernen viel über die Vergangenheit, über die Nazis, aber sehr wenig über das, was heute positiv ist unserem Staat.“

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare