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Mitbestimmung: Warum Betriebsräte in Deutschland mehr Untersützung brauchen

Befristete Jobs, mobile und digitale Arbeit - die Mitbestimmung in den Betrieben wird schwieriger. Nordrhein-Westfalen hat eine Initiative gestartet, die Arbeit von Betriebsräten zu stärken. Was in anderen EU-Ländern besser läuft und in Deutschland geändert werden muss, erklärt Raimer Schmeltzer im Interview.
von Vera Rosigkeit · 27. Februar 2017

Herr Schmeltzer, NRW hat im Dezember eine Bundesratsinitiative für mehr Mitbestimmung gestartet. Was muss sich ändern?

Es geht darum, die Mitbestimmung zukunftsfest zu machen. Gerade in Zeiten, in denen das Vertrauen in die demokratischen Strukturen der Europäischen Union und unseres Landes von besonderer Bedeutung ist, ist es wichtig, die Errungenschaften zu bewahren und zu stärken, die wie die Mitbestimmung einen Beitrag zum Erhalt unserer demokratischen Kultur leisten. Für gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftlichen Erfolg müssen wir die Mitbestimmung nicht nur erhalten, sondern stärken und ausbauen. Konkret fordern wir mit der Bundesratsinitiative, Lücken und Schlupflöcher im deutschen und europäischen Recht zu schließen. Wir wollen nicht, dass sich Unternehmen – wie beispielsweise durch Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) – der Mitbestimmung entziehen.  

Lässt sich an einem Beispiel beschreiben, wie der Einfluss der Arbeitnehmer mit zunehmender Flexibilisierung sinkt?

Stellen wir uns einen Betrieb vor, der Arbeiten, die bisher von der Stammbelegschaft durchgeführt wurden, aus Kostengründen zunehmend an Werkvertragsunternehmen outsourct und dadurch Personal langfristig abbaut. Obwohl die Vergabe von Werkverträgen den Bestand der Stammbelegschaft gefährden kann, wurde der Betriebsrat bisher an solchen Entscheidungen nicht genügend beteiligt, weil die Auftragsvergabe meist über den Einkauf gelaufen ist. Zudem hängen die Größe und damit auch die Handlungsfähigkeit des Betriebsrates von der Größe der Stammbelegschaft ab. Je kleiner der Betriebsrat, desto schwieriger ist es, die Interessen der Beschäftigten umfassend zu vertreten.

Wenn wir bei diesem Beispiel bleiben, mit welchen Regelungen könnte man dem begegnen?

Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gehen wir gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen vor. Die Gesetzesnovelle tritt Anfang April in Kraft. Eine wichtige Klarstellung: Leiharbeitnehmerinnen und –nehmer sind bei der Bestimmung der Betriebsratsgröße zu berücksichtigen. Außerdem werden die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Werkvertragsvergabe gestärkt. Aber wir haben es ja nicht nur mit Leiharbeit und Werkverträgen zu tun, sondern auch mit befristeten Jobs sowie den neuen Herausforderungen mobiler und digitaler Arbeit. Auch hier müssen wir sicherstellen, dass die Mitbestimmung und Vertretung der Beschäftigteninteressen gewahrt bleiben.

Gibt es für Sie Grenzen, die nicht antastbar sind, z.B. der Acht-Stunden-Tag?

Unantastbar ist für mich vor allem die Gesundheit der Beschäftigten. Und dass diese durch überlange Arbeitszeiten gefährdet ist, dass die Unfallhäufigkeit dadurch ansteigt, ist hinlänglich wissenschaftlich nachgewiesen. Insofern  sind aus meiner Sicht Arbeitszeiten, begrenzt auf in der Regel acht Stunden sowie Ruhe- und Erholungszeiten für einen echten Feierabend wichtige Normen, die wir schützen müssen. Und es gibt im Übrigen bereits heute viele Möglichkeiten für eine flexible Gestaltung, wenn sich die Sozialpartner entsprechend in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen verständigen.

An welchen Punkten sehen Sie beim deutschen Mitbestimmungsrecht den größten Handlungsbedarf? Gibt es  Länder, die da weiter sind, von denen wir lernen könnten?

Im Gegensatz zu uns in Deutschland sind in der Mehrzahl der EU-Länder auch schon kleinere Betriebe von der Unternehmensmitbestimmung erfasst. In Schweden können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mindestens 25 Beschäftigten ihre Vertretung an der Unternehmensspitze wählen, bei uns erst ab 500. Unsere Aufgabe ist, die Mitbestimmungsrechte im digitalen Zeitalter zu schützen und weiterzuentwickeln. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Unternehmensmitbestimmung gehören deshalb auf den Prüfstand, weil wir weiterhin unsere Mitbestimmungskultur stärken, ausbauen und veränderten Rahmenbedingungen anpassen wollen.

Der Bundesrat hat ihrer Initiative zugestimmt. Wie wird sie jetzt mit Leben gefüllt?

Die Bundesregierung ist zum Beispiel aufgefordert, die rechtlichen Möglichkeiten einer Anpassung der Mitbestimmung auf Ebene der deutschen Tochtergesellschaften zu prüfen und Lücken im deutschen Mitbestimmungsrecht zu schließen. Auf Landesebene laufen parallel unsere Initiativen zur Stärkung der Mitbestimmung weiter. Dazu zählt die NRW-Initiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“. Wir unterstützen mit Beratungsangeboten zum Beispiel Betriebsräte, die in ihrer Arbeit behindert werden. Und gemeinsam mit den Gewerkschaften helfen wir den Betriebsräten dabei, den digitalen Wandel in den Betrieben mitzugestalten.

 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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