Peer Steinbrück geht mit voller Kraft in den Wahlkampfendspurt. Am Freitag tourte der Kanzlerkandidat der SPD durch Hessen. Mal mit Charme und Witz, mal mit Klartext warb er um die Stimmen der Unentschlossenen. Und warnte: Wer nicht wählen geht, könnte es später bereuen.
Etwas Glück braucht man im Wahlkampf. Am Freitagvormittag hängen dichte, dunkle Wolken über dem Mauritiusplatz in der Wiesbadener Innenstadt. Schlechte Voraussetzungen für die Wahlkämpfer der SPD, um auf der Straße mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Doch plötzlich bahnt sich die Sonne ihren Weg durch die grauen Schleier am Himmel. Und nur eine Viertelstunde später drängen sich über hundert Menschen auf dem Platz.
Der Grund: Peer Steinbrück ist gekommen. Gut gelaunt verteilt der SPD-Kanzlerkandidat rote Rosen an die Passanten, dann besteigt er die kleine Bühne in der Mitte des Platzes. Von dort aus ruft er ins Mikrofon: „Wenn Sie mit mir die Kavallerie satteln wollen gegen Steuerbetrug, dann müssen Sie SPD wählen.“ Die Zuhörer applaudieren.
Nur noch zwei Tage sind es bis zur Bundestagswahl. Bis zuletzt wirbt Steinbrück um die Stimmen der Unentschlossenen. Vor allem aber will er die Menschen dafür gewinnen, überhaupt zur Wahl zu gehen. „Wenn Sie nicht wählen gehen, werden andere in den nächsten vier Jahren bestimmen, was passiert“, sagt er. Und warnt: „Das Ergebnis könnte Ihnen vielleicht nicht gefallen.“
Steinbrück „unzensiert“
In Steinbrücks Worten schwingt auch die Botschaft mit: Erst am Wahltag entscheidet sich, wer die nächste Regierung stellt. Ein Politikwechsel mit einer rot-grünen Koalition ist möglich.
Am Wahlkampfstand der SPD steht auch Simon Rottloff, der Wiesbadener SPD-Kandidat für den Bundestag. Er freut sich über die prominente Unterstützung im Straßenwahlkampf so kurz vor der Wahl. Doch auch für Steinbrück seien diese Auftritte wichtig, sagt er. „Die Menschen erleben ihn unzensiert, ohne Beeinflussung durch die Medien.“
Klartext will Peer Steinbrück sprechen, in direktem Kontakt mit den Bürgern, an möglichst vielen Orten. Jeden Tag aufs Neue eilt er dafür von Stadt zu Stadt. Wiesbaden ist an diesem Freitag nur der Auftakt. Mittags folgt eine Diskussionsveranstaltung in Marburg. Am Abend warten 2000 Menschen vor dem Hauptbahnhof in Kassel auf den SPD-Kanzerkandidaten. Dort auf dem Programm: „Klartext Open Air“.
Klartext in Kassel
Bei diesem Veranstaltungsformat stellt sich Steinbrück den Fragen der Bürger. Wann denn endlich der gesetzliche, flächendeckende Mindestlohn kommt, will einer der Anwesenden wissen. Steinbrück antwortet: Mit einer rot-grünen Regierung werde der Mindestlohn am 1. Februar 2014 im Gesetzblatt stehen. Wie er zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr stehe, fragt ein anderer. „Lieber 100 Tage verhandeln als eine Minute schießen“, sagt Steinbrück. Auf die Frage, was er ab Sonntag am meisten vermissen werde, scherzt der Sozialdemokrat: „Die vielen Bratwürste und Brötchen, die ich im Wahlkampf gegessen habe.“
Vermissen würde er dagegen die aktuelle Bundesregierung nicht, macht Steinbrück deutlich. Es sei die „tatenloseste, rückwärtsgewandteste, zerstrittenste, aber vollmundigste Bundesregierung in der Geschichte “, sagt er. Die Kanzlerin gebe keine politischen Richtlinien vor, sondern warte seit vier Jahren immer nur ab. Und die regierenden Parteien hätten sich „bei nichts geeinigt und sich selbst gegenseititg als Gurkentruppe und als Wildsäue bezeichnet“.
Warnungen vor „neuen Rechtsblock“
Auf Nachfrage erneuert Steinbrück seine Absage an ein Bündnis mit der Linkspartei. Er fügt hinzu: „Die viel entscheidendere Frage ist doch, wie es die CDU mit der AfD hält“. Es ist ein brisantes Thema. Denn zumindest der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat in dieser Woche eine Zusammenarbeit mit der Euro-kritischen Partei zunächst nicht ausgeschlossen. Kurz darauf schwenkte er um und versprach, nicht mit der AfD zu koalieren. Auf die Option, nach der Landtagswahl eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung von der AfD tolerieren zu lassen, ging er nicht ein.
Auch Thorsten Schäfer-Gümbel, der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Hessen, kommt in Kassel auf das Manöver Bouffiers zu sprechen. „Er macht uns etwas vor“, sagt er. Bouffier sei bei dem Versuch ertappt worden, einen neuen Rechtsblock zu gründen. „Die Alternativen sind klar: Rechtsblock oder Rot-Grün.“
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.