Inland

Mit Martin Schulz zu einem Europa von unten

von Karin Nink · 1. März 2014

Mit hervorragenden 91,1 Prozent wurde Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, heute zum Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahl am 25. Mai gewählt. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist die Wahl von Schulz „ein Zeichen des Vertrauens zu der deutschen Sozialdemokratie“. Er sprach von einem „historischen Tag“.

Es war ein Art großes sozialdemokratisches Familientreffen in Rom. Anders als bei klassischen Familientreffen jedoch verlief die SPE-Veranstaltung in großer Harmonie. 91,1 Prozent der Delegierten stimmten für den europäischen Spitzenkandidaten Martin Schulz, und alle Parteiführer sprachen sich öffentlich für den deutschen Kandidaten aus. „Martin Schulz ist der beste Kandidat, um den progressiven Wandel anzuführen, den Europa so verzweifelt braucht. Er ist der wahre Kandidat des Volkes“, sagte SPE-Präsident Sergej Stanishev. Und für den niederländische Außenminister Frans Timmermans verkörpert Martin Schulz „die Seele Europas“.

SPD-Chef Sigmar Gabriel machte deutlich, dass diese Zustimmung nicht selbstverständlich sei, schließlich machten viele die deutsche Politik der vergangenen Jahre mitverantwortlich für die „langsame Bewältigung der europäischen Krise“. Die Zustimmung für Schulz sei „ein Zeichen des Vertrauens in die deutsche Sozialdemokratie“. Diesem bescheinigte er „die Fähigkeit, das Leben anderer aus deren Augen beurteilen und mit ihnen für ein besseres Leben streiten zu können“. Nichts brauche Europa heute mehr. Schulz werde „nicht nur mit viel Verstand sondern auch mit großem Herzen für Europa kämpfen“

Ein Wahlkampf, wie es ihn noch nicht gab

In der Tat rüsteten sich europäische Sozialdemokraten und Sozialisten mit diesem Kongress für einen Wahlkampf, wie sie ihn für eine Europawahl noch nicht hatten – mit einem gemeinsamen Manifest und einer koordinierte Kampagne aller SPE-Parteien. Insofern war die Tagung in Rom für viele der Anwesenden ein historischer Moment in der Geschichte der europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten.

In einer sehr emotionalen Rede, gespickt mit vielen biografischen Momenten des ehemaligen Buchhändlers aus einfachen Verhältnissen und einstigem Bürgermeister der Kleinstadt Würselen, plädierte Martin Schulz für „ein anderes Europa“. Ein Europa, in dem es genügend Arbeitsplätze gibt und in dem Steuerbetrug hart geahndet wird. Denn „Steuerbetrug untergräbt die Solidarität zwischen Staaten und Menschen“, so Schulz. Dafür müsse der einfache Grundsatz gelten: „Das Land des Gewinns ist das Land der Steuer!“

Neben der Bekämpfung von Steuerbetrug und Jugendarbeitslosigkeit gehörte mehr Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger zu den entscheidenden Elementen in Schulz’ Rede, die auch das SPE-Wahlprogramm in seinen wesentlichen Punkten widerspiegelte.

Schulz will Kommissionspräsident werden

Der frisch gekürte Spitzenkandidat und - so die Hoffnung der SPE - künftige Präsident der Europäischen Kommission betonte, erstmals hätten die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, den Kommissionspräsidenten direkt zu wählen. Erstmals könnten sie entscheiden, welches Europa sie wollten. „In eurem Namen möchte ich Kommissionspräsident werden!“ rief er den Delegierten zu.

In seiner Rede, die er abwechselnd in Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch hielt, nahm Schulz sich auch die harte Sparpolitik der Konservativen und Liberalen vor, die Europa in den vergangenen fünf Jahren mehrheitlich regierten. Sie hätten den Menschen zu viel abverlangt, sich aber nicht um deren Bedürfnisse und die Zukunft der Jüngeren gekümmert, kritisierte er: „Qual und Pein für die Bevölkerung, Milliarden für die Banken!“. Das sei das Motto der konservativ-liberalen Regierungen gewesen. „Mein Europa ist ein Europa, in dem die Bürger an erste Stelle stehen“ setzte Schulz seine Vision eines sozialen Europas der Austeritätspolitik von Merkel und Co. entgegen. Derzeit aber zahlten die Jungen “mit ihren Lebenschancen für eine Krise, die sich nicht verursacht haben“.

Es sei das Ergebnis dieser falschen Politik, dass viele Europäer unter Arbeitslosigkeit, schlechter Gesundheitsversorgung und materieller Not litten. 120 Millionen Menschen lebten in Armut, 27 Millionen seien arbeitslos. Die Reichen würden reicher, die Armen ärmer.

Schulz will Spaltung Europas überwinden

Das, so wetterte Schulz, führe zu einer Spaltung innerhalb einzelner Länder, aber auch zwischen europäischen Staaten. Eine Entwicklung, die Nationalismus und Hass nähre und von der antieuropäische Populisten profitierten. „Es trifft mich sehr, den alten Dämonen wieder zu begegnen“ – Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit“, so Schulz.

„Beginnen wir heute in diesem Saal die Spaltung Europas zu überwinden“, rief er den Delegierten zu. „Europa ist mehr als die Summe seiner Institutionen in Brüssel. Europa ist die Summe seiner Nationen, seiner Städte, seiner Regionen, seiner 28 Mitgliederstaaten und natürlich vor allem seiner 507 Millionen Bürgerinnen und Bürger, rief er. „Mein Europa wird von unten nach oben gebaut!“ Der tobende Applaus der europäischen Sozialdemokraten sicherte ihm für dieses Vorhaben jede Unterstützung zu.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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