vorwaerts.de: Sie waren in der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder Staatssekretär bei Renate Schmidt im Bundesfamilienministerium. Stimmt es, dass Familienpolitik damals nur eine geringe Rolle spielte?
Ruhenstroth-Bauer: Nein, entgegen allen Unkenrufen von "Gedöns" war Gehard Schröder, in seiner zweiten Amtszeit als Bundeskanzler, ein tatkräftiger Unterstützer für eine pragmatische, zupackende und an den notwendigen Dingen orientierten Familienpolitik.
Renate Schmidt hat als Familienministerin klar gemacht, dass "Familie" mehr ist, als ein "weiches Weiberthema" . Sie hat mit den "Bündnissen für Familien" neue Partner, wie die Wirtschaft, direkt ins Boot geholt. Mit Ihren Ideen zur Versorgung der unter 3-jährigen ist eine Lawine ins rollen gekommen. Und: Renate Schmidt hat alle Grundlagen für die Einführung des Elterngelds gelegt.
Das Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen diesen Kurs nicht geändert hat, sondern viele Vorhaben weitergetrieben und umgesetzt hat, liegt auf der Hand. Denn mit Renate Schmidt wurde Familienpolitik erstmals in einer neuen, realistischen Sicht gesehen.
Und wie steht es mit der Familienpolitik in der SPD heute?
Mit Manuela Schwesig hat die Familienpolitik in der SPD ein neues, wichtiges Gesicht. Ich bin sicher, dass sie die Bedeutung und den Stellenwert von Familie in der SPD wieder deutlicher positionieren wird, als dies unmittelbar nach Renate Schmidt der Fall war.
In Berlin gibt es Botschafter aus allen Ländern - und jetzt auch die Kiezbotschafter. Was hat es damit auf sich?
Kiezbotschafter können alle Berlinerinnen und Berliner werden, die sich bis zum 17.Mai an dem Online-Dialog des Berliner Beirats für Familienfragen beteiligen. Der Familienbeirat, ein überparteiliches und ehrenamtliches Beratungsgremium des Berliner Senats befragt vier Wochen lang die besten Experten zum Thema Familienfreundlichkeit in Berlin: die Familien selber. Wir wollen wissen, was ist gut im Kiez? Was kann man weiterempfehlen? Wo liegt etwas im Argen?
Kann denn jeder Kiezbotschafter werden? Natürlich! Berlinerinnen und Berliner aller Altersgruppen und vor allem aller Lebensformen, die füreinander Verantwortung übernehmen, können Kiezbotschafter werden . Mit einem Klick kann man sich registrieren und sofort mitdiskutieren. Der Familienbeirat hatte vor zwei Jahren schon einmal einen Online-Dialog gestartet. Welche Erfahrungen sind aus dem Online-Dialog vor zwei Jahren in die aktuelle Initiative eingegangen?
Beim ersten Online-Dialog waren es zwar "nur" 318 registrierte Teilnehmende, aber 38.000 Seiten wurden von vielen nicht-registrierten Nutzern aufgerufen. Also viele am Thema Interessierte, aber zu wenige, die tatsächlich mitdiskutiert haben.
Bis heute haben rund 190.000 Besucher die Seiten des ersten Online Dialogs aufgerufen. Wir haben daraus gelernt, dass wir noch direkter die Menschen ansprechen müssen.
Deshalb geht es diesmal direkt in den Kiez. Die Kiezbotschafter wissen am besten, was direkt vor Ihrer Haustür passiert: ob Familienfreundlichkeit nur eine Phrase ist oder und wie sich wirklich etwas im Kiez tut.
Wie kann denn der Berliner Familienbeirat auf den Senat einwirken und wirklich etwas für die Situation vor Ort tun?
Der Berliner Familienbeirat ist Beratungsgremium für den ganzen Senat und von diesem auch berufen. Neben einer lauten Stimme für Familien hat der Beirat eine in Deutschland einzigartige Aufgabe: er ist beauftragt, den Berliner Familienbericht zu erarbeiten.
Dieser Bericht wird dem Senat Ende des Jahres übergeben, dort diskutiert und schließlich im Berliner Abgeordnetenhaus zur Debatte gestellt. In unserem Beirat sind nicht nur alle Parteien des Abgeordnetenhauses, sondern auch die Wirtschaft, Wissenschaft, Wohlfahrtsorganisationen, Glaubensgemeinschaften und Einzelpersönlichkeiten vertreten. Ein mutiger Schritt des Senats, wie ich finde, uns mit dem Bericht zu beauftragen.
Im Übrigen auch zeigt, dass man es sehr Ernst nimmt mit der Situation für Familien in Berlin. Der Bericht, an dem man sich direkt beteiligen kann, durch den Online-Dialog oder ganztägige Familienforen, bringt also auch die vielen Ideen, Verbesserungsvorschläge und natürlich auch die Kritik unmittelbar an die Politik.
Wie wird sichergestellt, dass auch die Verwaltung den Familienbericht und die Vorschläge der Kiezbotschafter zur Kenntnis nimmt?
Der Berliner Familienbericht entsteht nicht im "stillen Kämmerlein". Jedes seiner inhaltlichen Kapitel wird unmittelbar nach Fertigstellung kommuniziert. Wir sorgen für eine breite Öffentlichkeit, erarbeiten unseren Bericht transparent - allein das ist schon ein wichtiger Hebel, dass Verwaltung die Empfehlungen Ernst nimmt.
Ein Beispiel: Beim ersten Online-Dialog wurde immer wieder angemahnt, dass man zwar in Berlin eine breites Angebot für Kinder- und Jugendliche habe, aber keiner weiß so richtig, wo er die Informationen finden kann. Der Familienbeirat hat ein Familieninformationsportal vorgeschlagen und mit der Universität Potsdam und Prof. Werner Jann die Inhalte für das Portal entwickelt.
Die Idee der Studierenden waren überzeugend: jetzt will die Humboldt-Viadrina School of Governance das Portal für Berlin entwickeln.
Nochmal zurück zum Online-Dialog: Wie werden die Berliner erreicht, die nicht so stark im Internet unterwegs sind?
Natürlich gibt es immer noch viele, die nicht m Netz unterwegs sind. Deshalb haben wir nach der Online-Phase des ersten Dialogs auch eine Offline Phase mit ganztägigen Familienforen in der Stadt veranstaltet. So haben wir versucht, noch mehr Menschen zu erreichen.
Für den zweiten Online-Dialog haben wir zusätzlich starke Partner: "Der Tagesspiegel" ist unser Medienpartner bei dem Dialog.
Die Post unterstützt uns mit 55.000 Briefen direkt an Berliner Familien und fordert zum Mitmachen auf. Mehr noch: in einem gleich mitgeschickten Fragebogen kann man auch offline mitteilen, was man gut und was schlecht findet in seinem Kiez.
Und schließlich zeichnet die Berliner Kommunikationsagentur Agentur Johanssen+ Kretschmer Strategische Kommunikation für die gesamte Kreation der Kampagne und die PR - Umsetzung verantwortlich.
Drei starke Partner, die uns pro bono unterstützen , um noch mehr Menschen zu erreichen.
Wie lange können sich die Berliner und Berlinerinnen einbringen?
Der Online-Dialog geht erstmal bis zum 17. Mai.
Vielen Dank und viel Erfolg für die Initiative!
Der Rechtsanwalt und Kommunikationsberater Peter Ruhenstroth-Bauer ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Familienbeirats des Berliner Senats. Von 2002 bis 2005 war er Staatssekretär im
Bundesfamilienministerium unter Renate Schmidt. Der Berliner Familienbeirat zählt 23 Mitglieder aus Verbänden, Wissenschaft, Kirchen, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Er erarbeitet
den Familienbericht für Berlin 2010 und führt dazu seit dem 16. April 2010 einen Online-Dialog unter
www.Zusammenleben-in-Berlin.de durch.
war Online-Redakteur bei vorwaerts.de und Social-Media-Manager im vorwärts-Verlag.