Die skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen der Leiharbeitnehmer beim Internet-Versandhändler Amazon zwingen nicht nur Verbraucher in die Verantwortung, auch die Politik ist gefragt.
Die Aufregung in Politik und Gesellschaft ist groß. Beim Versand-Monopolisten Amazon müssen Tausende von in- und ausländischen Beschäftigten nicht nur zu Dumpinglöhnen arbeiten, sondern werden wie Sklaven gehalten. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen fordert eine lückenlose Aufklärung. Amazon hat sich bereits von dem als rechtsradikal gebrandmarkten Sicherheitsunternehmen Hensel European Security Services H.E.S.S. zur „Rundum“- Überwachung der Beschäftigten getrennt.
Arbeitsmarktpolitik neu ordnen
Dies erinnert fatal an die gravierenden Missbräuche durch die inzwischen in Konkurs gegangene Drogeriekette Schlecker vor etwa drei Jahren. Schlecker hatte nach Schließung ganzer Filialen sowie Neueröffnung unter anderem Konzept tausende von Mitarbeitern durch eine Leiharbeitsagentur zu erheblich niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen anheuern lassen. Auch damals war die öffentliche Empörung gewaltig.
Dabei kann es niemandem verborgen sein, dass in der Leiharbeitsbranche massive Diskriminierungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen bestehen. Bei inzwischen wieder etwa 900 000 Leiharbeitnehmern in der Bundesrepublik stellt sich die Frage immer drängender: Warum ist es bis heute nicht gelungen, einen wirksamen Riegel vor derartigen inhumanen Missbräuchen zu schieben?
Selbstverständlich ist es richtig, die am Pranger stehenden Unternehmen selbst zur Verantwortung zu ziehen. Für die ehemaligen Mitarbeiter/innen von Schlecker ist dies kein Trost, da infolge der Insolvenz ihres Arbeitgebers mehr als 20 000 ihre Arbeit verloren haben. Trotz erheblicher Anstrengungen der Arbeitsagenturen konnten nur wenige Tausend inzwischen wieder eine Arbeit finden. Die Verweigerung einer Beschäftigungsgesellschaft durch die FDP hat ihre desolate Lage weiter verschärft.
Nicht nur Verbraucher, auch die Politik muss reagieren
Im Fall Amazon wird lautstark nach der Verantwortung der Verbraucher gerufen, die über einen Bestell-Boykott Amazon zur Räson zwingen und somit dem "Buchladen um die Ecke“ das Überleben erleichtern könnten. Aber wo bleibt die Verantwortung der Politik? Diese empörenden Missbräuche mit der Leiharbeit haben nichts mit der immer gerne zitierten Globalisierung zu tun, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Vielmehr sind sie im Zuge der Deregulierung durch die Hartz-Gesetze gesetzlich legitimiert worden. Mit der „Schleusenöffnung“ bei der Leiharbeit sollte ausdrücklich ein wichtiges Exempel für den Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik geschaffen werden. Es ist daher an der Zeit, diese Schleusen auch gesetzlich wieder zu schließen.
Die Mini-Reförmchen der schwarz-gelben Koalition nach den Missbräuchen bei Schlecker durch die Verankerung einer Lohnuntergrenze (derzeit 7,50 Euro im Osten und 8,19 Euro im Westen) sowie die Verhinderung der so genannten Drehtüreffekte, Wiedereinstellung entlassener Mitarbeit/innen zu erheblich schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen über Leiharbeit reichen keinesfalls aus. Bleibt nur zu hoffen, dass der „shit storm“ über Amazon nicht ebenso ausgeht wie das „Hornberger Schießen“ und endlich die gesetzlichen Schleusen für die Leiharbeit wieder geschlossen werden.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.