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Mindestlöhne in der Pflege: SPD-Expertin fordert flächendeckenden Tarifvertrag

Mehr als eine Million Beschäftigte in der Pflege sollen künftig mehr Geld bekommen. Der SPD-Pflegebeauftragten Heike Baehrens reicht das nicht. Sie fordert einen flächendeckenden Branchentarifvertrag.
von Vera Rosigkeit · 2. März 2020
Die SPD fordert einen flächendeckenden Branchentarifvertrag für die Pflege.
Die SPD fordert einen flächendeckenden Branchentarifvertrag für die Pflege.

Für Pflegehilfskräfte soll es künftig einen Mindestlohn von 12,55 Euro die Stunde geben, für Fachkräfte von 15;40 Euro. Ist das ein Erfolg?

Zunächst einmal ist jede Erhöhung des Mindestlohns ein Erfolg. Allerdings galt bisher die Lohnuntergrenze ausschließlich für Pflegehilfskräfte und für angelernte Kräfte. Nun ist zum ersten Mal auch ein Mindestlohn für Pflegefachkräfte vereinbart worden. Das halte ich für einen Fehler, denn meiner Meinung nach müssen Fachkräfte immer ordentlich entsprechend der jeweiligen Branchentarifverträge entlohnt werden. Gute Bezahlung muss das Ziel sein und nicht Mindestmaß.

Sie halten den Mindestlohn für Fachkräfte für ein falsches Signal?

Ja, denn in der Pflege arbeiten Menschen mit einer qualifizierten Ausbildung. Die haben Anspruch auf ein ordentliches Tarifgehalt. Beim Tarif geht es ja nicht nur darum, dass man bestimmte Stunden abrechnet, sondern dass die Rahmenbedingungen geregelt werden, wie Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld oder eben auch ein möglicher Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge. Das alles ist mit einem Mindestlohn nicht erreichbar.

Lässt sich der Unterschied zwischen einem Einkommen nach Tarif und einem nach Mindestlohn beziffern?

Das ist schwierig, denn wir haben derzeit große Differenzen bei den Löhnen beispielsweise zwischen Ost- und Westdeutschland und Süd-und Norddeutschland. Weil ein großer Teil der Anbieter von Pflegediensten nicht nach Tarif zahlt, gibt es bei Fachkräften Unterschiede zwischen 600 und 800 Euro im Monat. Darunter leidet das Ansehen des Pflegeberufs, weil diejenigen, die schlecht bezahlt werden, auch diejenigen sind, die in der Öffentlichkeit sagen, dass man in der Pflege nicht gut verdienen kann. Das stimmt aber so  pauschal nicht, weil es unter den Anbietern viele gibt, die sich stark am Tarif des öffentlichen Dienstes orientieren und damit auch ordentliche Gehälter bezahlen.

Wie reagiert der Arbeitgeberverband der privaten Anbieter, der bisher Tarifverhandlungen mit ver.di ablehnt und verhindern will?

Die stellen sich nicht nur quer, sondern machen regelrecht einen Sturmlauf gegen einen solchen Tarifvertrag. Sie haben gejubelt, nachdem der Mindestlohn vereinbart wurde. Für sie mache dieser Abschluss deutlich, dass nun ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag nicht mehr nötig sei, sagen sie. Für mich ist das ein klares Signal, dass sie ihr Personal nicht so gut bezahlen wollen, wie es mit einem Tarifvertrag üblich ist. Das finde ich skandalös.

Wirkt sich das negativ aus auf die Tarifverhandlungen der neu gegründeten Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP, in der sich Sozialverbände wie AWO, Paritätischer und ASB zusammengetan haben, um mit verdi zu verhandeln? Dort stellen sich die privaten Anbieter ja ohnehin schon quer.

Das ist genau meine Sorge. Dass viele jener Anbieter, die bisher nicht nach Tarif bezahlen, sich durch die Festsetzung dieses Mindestlohns bestätigt fühlen. Sie orientieren sich an dieser Lohnuntergrenze, zahlen vielleicht sogar 50 Cent mehr die Stunde und meinen, sie bräuchten keinen Tarifvertrag mehr. Für die Beschäftigten in der Pflege ist das ein großes Problem, weil sie mit einem Mindestlohn bei Weitem nicht die gleiche Absicherung haben wie mit einem Tarifvertrag.

Sehen Sie trotzdem Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss bei den Verhandlungen zwischen BVAP und ver.di? Der Bundesarbeitsminister hatte ja bereits angekündigt, diesen Tarifvertrag als allgemeinverbindlich zu erklären.

Seit Einführung der Pflegeversicherung haben wir eine stetige Zunahme an privaten Anbietern und deren Bundesverband (BPA) deckt inzwischen einen großen Teil der Einrichtungen und Dienste ab. Beim neu gegründeten Arbeitgeberverband, der jetzt mit ver.di verhandelt, ist es dringend notwendig, dass möglichst viele der gemeinnützigen Anbieter mit im Boot sind. Das macht die Verhandlungen nicht einfach. Um die Repräsentativität dieses Tarifwerks zu gewährleisten, will man auch die kirchlichen Anbieter mit einbeziehen, die aufgrund ihres kirchlichen Selbstbestimmungsrechts eigene Tarifregelungen haben. Eine Verständigung zu erreichen ist nicht leicht. Aber ich bin zuversichtlich. Insbesondere die Verhandlungsführungen von ver.di und Arbeiterwohlfahrt setzen sich sehr für ein Gelingen ein.

Wie soll es aus SPD-Sicht weitergehen in der Pflege – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels? 

Gerade weil wir einen großen Bedarf an zusätzlichen Kräften in der Pflege haben, sowohl bei Fach- als auch bei Hilfskräften, wäre es ein wichtiges politisches Signal, wenn wir einen flächendeckenden Branchentarifvertrag bekommen. Dafür steht die SPD. Das, was jetzt zwischen verdi und BVAP verhandelt wird, ist leider noch kein Branchentarifvertrag, sondern ein Tarifvertrag auf der Basis des Arbeitnehmerentsendegesetzes, der nur eingeschränkte Bausteine aufweist. Um jungen Menschen, die in diese Berufe einsteigen wollen, eine wirklich sichere Perspektive zu geben, ist es wichtig, dass sie von dem Geld, das sie verdienen, eine Familie ernähren können. Pflege ist ein hochwertiger Beruf, der in unserer Gesellschaft auch ein hohes Ansehen genießt. Entsprechend muss auch die finanzielle Anerkennung sein. Das kann nur über ordentliche Tarifbedingungen funktionieren und dafür werden wir uns weiter starkmachen.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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