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Mindestens 12 Euro: „Ein höherer Mindestlohn ist überfällig.“

Schon 2019 hatte Paketzusteller Olaf Könemann eine Petition für einen Mindestlohn von 12 Euro gestartet. Dass die SPD die Forderung nun in ihr Programm für die Bundestagswahl aufgenommen hat, freut ihn deshalb besonders.
von Kai Doering · 21. März 2021
Ein höherer Mindestlohn hat direkte Auswirkungen auf alle anderen Löhne. Die SPD fordert deshalb einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro zum 1. Januar 2022.
Ein höherer Mindestlohn hat direkte Auswirkungen auf alle anderen Löhne. Die SPD fordert deshalb einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro zum 1. Januar 2022.

Auf dem Bundesparteitag Ende 2019 haben sie den frisch gewählten SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans eine Petition mit 95.000 Unterschriften überreicht. Darin haben Sie einen Mindestlohn in Höhe von 12 Euro ab 2021 gefordert. Aktuell liegt der Mindestlohn bei 9,50 Euro. Sind Sie enttäuscht?

Die Enttäuschung war vor allem im letzten Jahr groß als die Mindestlohnkommission im Juni getagt und ihre Empfehlung verkündet hat. Ich hatte ja gehofft und eigentlich auch erwartet, dass sie ihr Verfahren ändert. Das hat sie aber leider nicht gemacht. Deshalb ist der Mindestlohn auch nicht deutlich gestiegen, sondern orientiert sich weiter an den Faktoren, die schon bei seiner Einführung 2015 festgelegt wurden. Besonders geärgert hat mich, dass die beiden Arbeitnehmervertreter in der Kommission noch kurz zuvor gesagt hatten, dass sie auf einem Mindestlohn von 12 Euro beharren würden. Das haben sie am Ende eben nicht getan. Ich denke, das Eckpunktepapier, das Hubertus Heil und Olaf Scholz vor kurzem vorgestellt haben, ist auch ein Ergebnis der Enttäuschung vieler von den Vorschlägen der Mindestlohnkommission.

In dem Papier schlagen Hubertus Heil und Olaf Scholz vor, den Mindestlohn bis Anfang 2022 auf mindestens 12 Euro in der Stunde anzuheben. Reicht das denn aus?

Das Eckpunktepapier ist aus meiner Sicht revolutionär. Ein höherer Mindestlohn ist überfällig. Ob die 12 Euro ausreichen werden, hängt davon ab, wie sich die Preise in diesem Jahr entwickeln werden. Wir müssen aber auch realistisch sein. Mit der Entscheidung der Mindestlohnkommission sind die 12 Euro für dieses Jahr tabu. Da wird sich nicht mehr tun. Ich denke, wenn wir uns auf einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro ab 2022 verständigen würden, wäre eine Menge gewonnen. Ich habe deshalb vor kurzem auch nochmal eine neue Petition gestartet, in der ich genau das fordere.

Darin schreiben Sie, ein Mindestlohn von mindestens 12 Euro bedeute auch für die anderen Gehälter eine „progressive Dynamik“. Was ist damit gemeint?

Entscheidend ist hier das Lohnabstandsgebot. Einfach gesagt: Wenn der Mindestlohn steigt, müssen auch die Tariflöhne steigen, damit der Abstand gewahrt wird. Ein höherer Mindestlohn hat also direkte Auswirkungen auf alle anderen Löhne. Gerade im Dienstleistungsbereich gibt es ein wahres Konvolut von Tarifverträgen, in denen der Lohn bei etwa zwölf Euro liegt oder sogar darunter. Da müsste es eine Menge Anpassungen geben, wenn der Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht wird. Das würde übrigens auch die Binnennachfrage in und nach der Corona-Krise deutlich stärken. Wir müssen dringend weg von Armutslöhnen. Dass Scholz und Heil den Mindestlohn in Richtung eines „Living Wage“ entwickeln wollen, ist deshalb spitze!

Welche Rolle spielt der Staat dabei?

Eine ganz entscheidende. In Hamburg, wo ich lebe, wurde vor zwei Jahren entschieden, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden dürfen, die ihren Mitarbeitern mindestens zwölf Euro in der Stunde bezahlen. Das war ein sehr wichtiges Signal, auch mit Blick auf die Tariftreue von Unternehmen. Die Tarifbindung erodiert ja seit einigen Jahren. In Ostdeutschland war sie schon immer schlecht, aber inzwischen sind auch viele westliche Bundeländer auf demselben Niveau angekommen. Da muss dringend etwas getan werden.

Kritiker bemängeln, die Unternehmen könnten sich einen Mindestlohn von zwölf Euro in und nach der Corona-Krise nicht leisten. Was sagen Sie denen?

Das Argument zieht aus meiner Sicht nicht. Es wird dabei nämlich außer Acht gelassen, dass es schon vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 über das Arbeitnehmerentsendegesetz viele Branchen-Mindestlöhne gab. Viele von ihnen gibt es bis heute und sie liegen bereits entweder bei oder sogar über zwölf Euro. Insofern müssen viele Arbeitgeber schon jetzt das zahlen, was wir nun für alle Arbeitnehmer mindestens fordern. Das betrifft im Moment rund 1,4 Millionen Menschen, von denen übrigens der Großteil Frauen sind und in Teilzeit arbeitet.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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