Inland

Merkels „EU Wirtschaftsregierung“- ein Ablenkungsmanöver?

von Ursula Engelen-Kefer · 7. Februar 2011
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Bis zum nächsten EU-Gipfel Ende März sollen diese Vorstellungen weiter ausgearbeitet werden. Dies ist auf den ersten Blick einleuchtend und ehrgeizig. Mindestens seit den Maastrichter Verträgen zur Einführung der EU Währungsunion ist die Koordinierung der Wirtschafts-Finanz- und Sozialpolitik überfällig. Nur ist dies bis heute nicht einmal ansatzweise geschehen.

Höchst fraglich ist daher, ob dieses ehrgeizige Unterfangen in einem derartigen deutsch-französischen Hauruck-Verfahren aus dem Boden gestampft werden kann und soll. Außerdem ist entscheidend, mit welcher Zielsetzung und Konzeption eine derartige europäische Wirtschaftssteuerung erfolgen soll. Erkennbar aus dem Vorstoß von Merkel und Sarkozy ist lediglich, dass hierdurch die Wettbewerbsfähigkeit Europas gestärkt werden soll.

Merkels Wählerberuhigung
Dies war erklärtermaßen immer Leitmaßstab für die lediglich halbherzigen und eher punktuellen Koordinierungsansätze in der EU- sowohl bei der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik wie seit den nicht abreißenden Finanzkrisen auch bei der Finanzpolitik. Außerdem soll dieser deutsch-französische Vorstoß zunächst für die 17 Euroländer gelten. Einige der übrigen EU Mitgliedsländer haben bereits ihren Unmut über den Ausschluß von diesem Projekt geäußert.

So drängt sich der Eindruck auf: Mit ihrem Vorschlag einer "EU Wirtschaftsregierung" will Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Mammut-Wahljahr die Wähler beruhigen, die um ihr Geld bangen. Abgelenkt wird davon, dass die deutschen Steuerzahler noch stärker für die überschuldeten Euroländer - Griechenland, Irland, Portugal, Spanien- belastet werden. Was die Bundeskanzlerin ebenso verschweigt: Damit wird der Vertrag von Lissabon erneut umgangen.

Danach ist nämlich die EU keine Transferunion für überschuldete Euroländer. Die Bundesbürger dürften also gar nicht für deren Finanzierung in "Haft" genommen werden. Dieses Prinzip ist allerdings bereits längst durchbrochen. Angela Merkel hat hierbei als Kanzlerin des wirtschafts- und finanzstärksten Mitgliedlandes einen entscheidenden Anteil. Denn die Europäische Zentralbank muss Staatspapiere der überschuldeten Euroländer aufkaufen. Gleichzeitig sollen die Rettungsschirme in der EU ebenfalls für die Schuldnerländer die Beschaffung der notwendigen Kredite zu niedrigeren Zinsen sicherstellen.

Spekulationsmaschinerie in Gang halten
Das wiederum ist geradezu eine Einladung an die Finanzindustrie, die Spekulationsmaschinerie gegen die überschuldeten Euroländer in Schwung zu halten. Wieder fließen die Gewinne in die Kassen der Finanzindustrie. Die Risiken haben die Bundesbürger durch höhere Steuern und Zinsen zu tragen. Richtig ist: Gerade die Bundesrepublik mit ihren anhaltenden hohen Exportüberschüssen hat ein hohes Interesse daran, daß den überschuldeten Euroländern geholfen und der Euro stabil gehalten wird. Allerdings fehlt jegliche Rechtfertigung dafür, dass dies allein vom Steuerzahler zu schultern ist. Die längst überfällige Beteiligung der Gläubiger - vor allem Banken und Versicherungen- steht immer noch aus.

Für die große Mehrheit der Bundesbürger ist der Vorstoß der Bundeskanzlerin für eine "EU Wirtschaftsregierung" kaum beruhigend. Vielmehr ist die Vermutung groß, dass die Sparpolitik auf dem Rücken der Menschen noch rigoroser durchgesetzt werden soll. So soll nach Merkels Vorschlag die "Schuldenbremse", die mit den gigantischen Rettungsschirmen im Zuge der weltweiten Finanzkrise in das deutsche Grundgesetz eingeführt wurde, auch für die übrigen Euroländer gelten. Es war schon immer ein beliebtes Spiel nicht nur in der Bundesrepublik, die EU für politisch unangenehme Entscheidungen auf nationaler Ebene verantwortlich zu machen.

Gewinnzuwachs auf Kosten der Löhne
Die Vorstellungen von Frau Merkel zur Anpassung von Lohnpolitik und Rentenalter lassen Schlimmes befürchten. Eine staatlich verordnete "Deregulierung" der Lohnpolitik wäre ein Angriff auf die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie. Für die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik bedeutet dies eine Verschlechterung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen. Die "Deregulierung" von Tarifverträgen überlässt die Arbeitnehmer der Willkür der Arbeitgeber. Die Expansion von Leiharbeit, befristeter Arbeit und 400 Euro Jobs und damit der Niedriglohnsektoren auf bald ein Viertel aller Erwerbstätigen würde schneller voranschreiten. Die mühseligen Ansätze der europäischen Gewerkschaften zur Koordinierung der Tarifpolitik in der EU würden zunichte gemacht.

Seit Jahren ist in allen Euroländern eine Umverteilung zugunsten der Gewinneinkommen und zu Lasten der Löhne festzustellen. Spitzenreiter hierbei ist die Bundesrepublik. So sanken die realen Lohnstückkosten zwischen 2000 und 2008 um 6 Prozent gegenüber 3 Prozent im Mittel der übrigen 16 Euroländer. Bezeichnend ist daher, dass bereits Luxemburg, Belgien und Österreich Einspruch gegen die Einflussnahme auf die Lohnpolitik erhoben haben. Sie wollen ihre an die Preissteigerungen gekoppelten Mindestlöhne sowie die funktionierende Sozialpartnerschaft nicht gefährden zu lassen.

In den letzten Jahren ist die Verabschiedung europäischer Mindeststandards in der Sozialpolitik zum Stillstand gekommen. Ein Gesamtkonzept zur Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist daher überfällig. Besonders wichtig wäre ein ausreichender Schutz für Arbeitnehmer gegen Dumping von Löhnen, Arbeits- und Sozialbedingungen als Gegengewicht gegen die zunehmende Globalisierung von Unternehmen und Kapitalmärkten.

Mindestlöhne und Sozialstandards verbessern
Unerlässlich ist die Verpflichtung aller Mitgliedsländer auf gesetzliche Lohnuntergrenzen. Fast alle Euroländer haben seit Jahren derartige einheitliche gesetzliche Mindestlöhne. In den wirtschaftlich mit der Bundesrepublik vergleichbaren Staaten liegen diese inzwischen über 9 Euro. Die Bundesrepublik spielt hier mit der schleppenden Einführung tariflicher Mindestlöhne eine unrühmliche Ausnahme. Die Bundeskanzlerin muss endlich die Blockade in den Reihen ihrer Koalition gegen die seit Jahren vorliegenden Mindestlöhne insbesondere bei der Leiharbeit aufbrechen und den Einstieg in einheitliche gesetzliche Lohnuntergrenzen für die gesamte Wirtschaft ermöglichen. Dies erhält besondere Bedeutung, wenn ab Mai auch für Deutschland die volle Freizügigkeit nach Mittel und Osteuropa gilt.

Allerdings zeigen die Vorschläge von Bundeskanzlerin Merkel zur Anpassung des Rentenalters an die demographische Entwicklung in die umgekehrt Richtung: Angesagt ist nicht mehr, sondern weniger sozialer Schutz für die Arbeitnehmer und weitere Verschlechterungen der Rentenleistungen. Mit der beschlossenen pauschalen Heraufsetzung der gesetzlichen Altersgrenze auf 67 Jahre ab 2012 bis 2029 hält die Bundesrepublik bislang einen traurigen Rekord, der jetzt allerdings durch Großbritannien und Spanien noch übertroffen werden soll.

Auch Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy könnte sich mit der Durchsetzung seiner bislang gescheiterten Rentenreform zur Heraufsetzung des niedrigen Rentenalters leichter tun, wenn er die "Knute" einer "EU Wirtschaftsregierung" nutzen könnte. Dies gilt umso mehr, wenn er dafür einen noch größeren finanziellen EU Rettungsschirm "in die Scheuer" fahren könnte. Gerade die französichen Banken sind in den überschuldeten Euroländern überdurchschnittlich stark vertreten. Die Wähler und Steuerzahler in der Bundesrepublik dürfen sich durch derartige deutsch-französische Europa Visionen nicht hinters Licht führen lassen.

Autor*in
Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.

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