Inland

Mehr Spielraum für Kommunen in Europas Nahverkehr

von Stefan Grönebaum · 12. Juni 2006
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Nach jahrelangem Streit einigten sich die 25 EU-Staaten am Wochenende auf neue Regeln zur Liberalisierung des öffentlichen Nahverkehrs. Diese wird nun weit langsamer und vorsichtiger verlaufen, als der Entwurf der Kommission dieses vorgesehen und das liberale Großbritannien es gefordert hatte.

Die Verordnung gestattet es Kommunen, wie von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) gefordert, Bus- und Bahnverkehre entweder öffentlich auszuschreiben oder Verträge mit einem Anbieter nach bestimmten Regeln direkt abzuschließen. Aufträge für kleinere und mittlere Unternehmen, also weniger als 1 Millionen Euro oder 300 000 Kilometer im Jahr, müssen nicht ausgeschrieben werden. Bei Unternehmen mit weniger als 20 Fahrzeugen liegen die Schwellen mit 1,7 Millionen Euro und 500 000 Jahreskilometern noch höher.

Die Verfechter einer vorsichtigen Öffnung wie Deutschland setzten auch lange Übergangsfristen druch: Die rd. 4 100 Verkehrsbetriebe in Deutschland haben bis spätestens zum Jahr 2022 Zeit, sich umzustellen: Die Verordnung tritt erst drei Jahre nach ihrer Veröffentlichung in Kraft - nach einer Übergangszeit von zwölf Jahren. Der Kommissionsentwurf hatte noch vorgesehen, dass Kommunen nur ohne Ausschreibung vergeben können, wenn sie einen beherrschenden Einfluss auf die Betriebe haben. Die Verkehrverbünde wären dabei außen vor geblieben. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sah daher Probleme bei allen Linien, die Stadtgrenzen überschritten und Wolfgang Tiefensee teilte diese Ansicht.

Verkehrsminister Tiefensee gab sich zufrieden: "Das bedeutet, dass wir die Verkehrsverbünde in Deutschland in der bewährten Form erhalten", außerdem schütze der Kompromiss kleine Firmen vor unlauterem Wettbewerb. Für EU-Kommissar Jaques Barrot "erhöht der Text die lokale Eigenständigkeit." Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) dagegen beklagte eine vertane Chance für mehr "kontrollierten Wettbewerb", der wie Skandinavien beweise, für mehr Transparenz und Effektivität sorgen könne. Verkehrsreferent Michael Müller verwies auf das Bundesland Hessen, wo Auschreibungspflicht bestehe.

Das EU-Parlament muss nun die neuen Vorgaben beraten, eine Verabschiedung erwartet Jaques Barrot in der ersten Hälfte 2007.

Quellen: die tageszeitung vom 9. und 12. Juni, Financial Times Deutschland vom 12. Juni, www.vdv.de; www.vcd.de

Autor*in
Stefan Grönebaum

war von 1994 bis 1998 Büroleiter und Persönlicher Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Fikentscher.

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