Mehr als gutes Regieren
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Als junger Mann, noch als Soldat in Hitlers Armee habe er nicht gewusst, „wofür“ er sein solle, gesteht Helmut Schmidt in seinen Jugenderinnerungen. Nach Kriegsende, noch im Gefangenenlager, hörte er einem der Kameraden zu, der ihm die Grundideen des demokratischen Sozialismus ans Herz legte, ihn überzeugte das, zeitlebens blieb er dabei. Selbst nach den bittersten Kontroversen – und die gab es – kündigte er seiner SPD nie die Loyalität. Nie. Er wollte auch Brandt als Kanzler nicht stürzen oder als Vorsitzenden beerben. Wider alle Klischees: Zwischen ihnen, dem Minderheitsdeutschen im Exil, der früh wusste, wogegen und wofür er sein solle, und dem „Muschkoten“ der Wehrmacht, einem von 19 Millionen, das fanden letztlich beide, dürfe das Band nie reißen. Schmidt nannte Brandt seinen Freund, 1959 erstmals, 1992 zuletzt.
Kann die SPD regieren?
Fertig war die Bundesrepublik 1953 beileibe noch nicht, als er in den Bundestag einzog. Solidarität im Inneren, Ehrlichkeit über die selbstverschuldete Katastrophe zwischen 1933 und 1945, als letzter Kanzler im Schatten von Auschwitz, ein starker Staat samt starkem Parlament, Westorientierung, „europäisches Deutschland“, Aussöhnung mit Frankreich ebenso wie mit Polen – all das musste er sich aneignen, wie die meisten. Die Adenauer-Mehrheit traute der SPD die Kunst des Regierens nicht zu. Brandt trat als erster den Gegenbeweis an, die Reihenfolge ihrer Kanzlerschaften – zuerst der Exilant, dann der Soldat – erwies sich als Segen. So gewannen die Deutschen Vertrauen. Schmidt aber avancierte zum „Referenzkanzler“, denn „er wusste, was gutes Regieren heißt“ (Richard von Weizsäcker).
Gutes Regieren? Unmöglich ist das ohne Klarheit über das „Wofür“. Was für ein Weg, vom Ahnungslosen, der dem Falschen anhängt, zum „Weltgewissen“, wie Henry Kissinger ihm zum Abschied nachrief. Gewiss, als Regierungschef ignorierte er auch frühe Warnsignale, zum Beispiel was die Zukunft der Lebenswelt, die Kluft zwischen Nord und Süd, die neue Grüne Partei angeht. Er war kein „eiserner Kanzler“. Gleichwohl, seine diskursive Seite ließ er erst ganz erkennen, als er längst schon bei den „Wegelagerern“, der „ZEIT“ im Pressehaus saß. Sicher war er sich nun, „wofür man sein solle“, wohin die Republik und Europa gehen und wie es aussehen solle. Und freier war er, freier denn als Politiker. Bewunderung als nationale Ikone trug ihm das selbst bei jenen ein, welche die Frage nach dem „Wofür“ gelegentlich anders beantworteten als der unverwechselbare Alte aus dem Reihenhaus in Langenhorn.