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Massenentlassung bei Siemens: Wo bleibt die Verantwortung der Konzernlenker?

Siemens macht es vor: Massenentlassungen trotz Milliardengewinne. Aktionäre dürfen sich freuen, während Angst und Zorn der Beschäftigten steigen. Sieht so die Zukunft der Arbeit aus? Dabei zeigt die Geschichte, dass eine Alternative möglich ist.
von Renate Faerber-Husemann · 23. November 2017

Während Gewerkschaften wie die IG Metall nach neuen Wegen suchen, etwa durch zeitlich begrenzte Verkürzung der Arbeitszeit (Stichwort 28-Stunden-Woche für Mütter und Väter oder Mitarbeiter mit pflegebedürftigen Angehörigen) schaffen die anderen Fakten – zum Beispiel Siemens: Rund 7.000 Arbeitsplätze sollen gestrichen werden, die Hälfte davon in Deutschland und die wieder in besonders strukturschwachen Gebieten im Osten. Die Werke in Görlitz und Leipzig sollen geschlossen werden, ein Turbinenwerk in Berlin von derzeit 850 Mitarbeitern auf 90 eingedampft, Erfurt verkauft werden. Die Mitarbeiter erfuhren davon aus der Zeitung, was nun nicht die feine Art ehrbarer Kaufleute war. Zumal Siemens fast zeitgleich einen Gewinn von sechs Milliarden Euro meldete. Die Aktionäre dürfen sich freuen, während Angst und Zorn der Beschäftigten steigen.

Angst und Zorn bei Arbeitnehmern steigen

Was die Menschen bei Siemens und nicht nur dort umtreibt, ist die Ahnung, dass die Zeiten mit berechenbarem Arbeitsleben von der Lehre bis zum Rentenalter sich dem Ende zuneigt. Es ist nicht übertrieben, wenn Wissenschaftler und Gewerkschafter das, was sich jetzt anbahnt, mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts vergleichen, mit damals verheerenden Folgen für zahllose Menschen. Was kommt als nächstes? Die Autoindustrie? Für die künftigen batteriebetriebenen Autos wird man sehr viel weniger Beschäftigte brauchen als für den Bau der klassischen Benziner und Dieselfahrzeuge. Und wahrscheinlich erleben wir in absehbarer Zeit mit selbstfahrenden Lkws und Taxis, wie deren Fahrer brotlos werden. Die Digitalisierung wird in zahlreichen Sparten Arbeitsplätze kosten, ohne dass sich ausreichender Ersatz abzeichnet.

Schon fordert Frank Appel, Chef der Deutschen Post mit derzeit rund 500.000 Beschäftigten von der Politik: Je mehr Menschen ein Unternehmen beschäftigt, desto weniger Steuern soll es zahlen. Das klingt ebenso nach einer Schnapsidee wie die immer wieder aufflammende Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1.000 Euro im Monat, das ja von erstaunlich vielen Firmenbossen von Siemens bis Telekom, von SAP bis Tesla wohlwollend kommentiert wird. Das hat nun wirklich einen unangenehmen Beigeschmack: Die Gewinne der Unternehmen steigen, wenn weniger Geld für den Kostenfaktor Mensch ausgegeben wird. Und um die brotlos gewordenen Arbeitnehmer soll sich die Allgemeinheit, sprich die Steuerzahler kümmern. So viel zum Verantwortungsgefühl von Konzernlenkern.

Umverteilung von Arbeit als Alternative

Worüber in den Konzernen dagegen nicht geredet wird, ist über die Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich. Im Gegenteil: Nach neuen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz wird die Arbeitszeit immer länger: 43,5 Stunden sind Arbeitnehmer im Schnitt pro Woche in ihrem Betrieb. Fünf Stunden mehr als laut Tarifverträgen vereinbart. Auch die Arbeit am Abend und am Wochenende nimmt zu, vor allem in sozialen Berufen und im Dienstleistungsbereich, also dort, wo die Bezahlung ohnehin beschämend ist.

Vor diesem Hintergrund wirken die Forderungen der IG Metall zur Arbeitszeitverkürzung äußerst bescheiden – vielleicht zu bescheiden? Gerade im Metallbereich werden seit Jahren hohe Gewinne gefeiert, mit entsprechend hohen Managergehältern. Man wünscht sich starke Gewerkschaften, die in dieser Situation auf Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich bestehen und sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen, weil die Arbeitgeber mit Massenentlassungen drohen.

Konzerne in die Verantwortung nehmen

In der klassischen Industrie wurde vom Management viel verschlafen in den letzten Jahren: Das gilt besonders für die Autobauer und die Energieunternehmen: Die Zeche werden die Arbeitnehmer zahlen müssen. Man möchte nicht in der Haut von Gewerkschaftern stecken, die unwillige Konzernmanager an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnern – und diese auch durchsetzen müssen.

Die letzte große Auseinandersetzung zur Arbeitszeitverkürzung fand vor mehr als dreißig Jahren in der Metall- und der Druckindustrie statt. Man einigte sich nach einem Streik von sieben Wochen (bei der IG Druck waren es zwölf Wochen) auf die schrittweise Einführung der 35-Stunden-Woche! Ob die Erinnerung daran die Arbeitgeber mit ihren zur Zeit noch vollen Auftragsbüchern schrecken kann?

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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