Inland

Martin Schulz warnt Moskau und Kiew vor ernsten Konsequenzen

von ohne Autor · 15. Januar 2009
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vorwärts: Martin Schulz, wie schon vor drei Jahren tragen auch dieses Mal Russland und die Ukraine ihren Gasstreit auf dem Rücken Europas aus. Wie ernst wird die EU in Moskau und Kiew überhaupt genommen?

Martin Schulz: Die EU wird in Kiew und Moskau sehr ernst genommen und für beide Staaten sind gute Beziehungen zur EU eine außenpolitische Priorität. Die Ukraine klopft seit Jahren an die Tür der EU und sieht ihre Zukunft als Mitgliedstaat der EU. Russland weiß, dass es einen guten Ruf als zuverlässiger Geschäftspartner und Energielieferant in Europa zu verlieren hat. Europa und Russland sind in geopolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht aufeinander angewiesen. Wir brauchen derzeit russisches Öl und Gas, um unseren Energiebedarf zu decken, und Russland kann Europa als Absatzmarkt nicht entbehren. In Zahlen gefasst ist Russland der drittgrößte Exportpartner und der viertgrößte Importpartner der EU-Mitgliedsstaaten. Trotz bestehender Meinungsdifferenzen müssen die EU und Russland zusammen an einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur arbeiten. Aus persönlichen Gesprächen mit der russischen Regierung kann ich bestätigen, dass der Regierung ihre enge Verbundenheit mit der EU wichtig und sie sich der Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit bewusst ist.

Welche Konsequenzen will die EU ziehen, damit sich das Ganze nicht erneut wiederholt?

Die EU-Kommission hat es ebenso wie die französische und die tschechische EU-Ratspräsidentschaft verpasst, bereits im Vorfeld der Krise aktiv zu werden und präventiv zu handeln. Der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft gelang es nicht, gleich zu Beginn der Krise den nötigen politischen Druck für eine Lösung aufzubauen. Bereits 2006 gab es einen Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland, der zu einer Störung der Gasversorgung für drei Tage führte. Der diesen Winter wieder aufgelegte Konflikt verlief sogar schärfer. Man musste kein Prophet sein, um den Gasstreit kommen zu sehen. Das Europa-Parlament hat bereits vor Monaten vor der vorhersehbaren Krise gewarnt.

Kommissionspräsident Barroso hat bei der Parlamentsdebatte zur Tschechischen EU-Ratspräsidentschaft Russland und der Ukraine mit rechtlichen Schritten gedroht für den Fall, dass weiterhin kein Gas nach Europa fließt. Sollten die Lieferanten die vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen, werde er den betroffenen europäischen Unternehmen raten, ihre Ansprüche vor Gericht geltend zu machen. Unsere Botschaft an die Ukraine und an Russland ist klar: es wird ernste Konsequenzen für die Beziehungen mit der EU und für die Verhandlung neuer Verträge geben, wenn hunderttausende im tiefsten Winter frieren müssen.

Ist Russland noch ein zuverlässiger Gaslieferant für Europa?

Ich bin überzeugt davon, dass Russland ein zuverlässiger Gaslieferant für Europa ist. Die jüngste Krise zeigt aber auch, wie wichtig es zur Risikostreuung ist, unsere Energiequellen und unsere Energieversorgung zu diversifizieren. Dazu zählen Pipelines genauso wie die Erhöhung der Energieeffizienz und der Ausbau alternativer und erneuerbarer Energie. Energiesicherheit und Klimaschutz sind untrennbar miteinander verbunden und nur wenn wir beides zusammen denken, finden wir den Schlüssel, um beide Herausforderungen zu lösen.

Es gibt den Vorwurf, Moskaus benutze sein Gas als politische Waffe. Trifft diese Bewertung zu?


Sicherlich spielen in diesem Gasstreit politische und wirtschaftliche Erwägungen zwischen der Ukraine und Russland eine Rolle. Leider wurden unbeteiligte Staaten und Bürger zu den Leidtragenden dieser Meinungsverschiedenheit zwischen den Handelspartnern Ukraine und Russland. Die Versorgung hunderttausender Europäer mit Heizenergie mitten im Winter zu kappen, ist nicht hinnehmbar; weder die Abzweigungen durch die Ukraine, noch die Drosselungen der Lieferung durch Russland.

Sollte Europa seine Abhängigkeit von russischen Gas senken. Und wenn ja, wie?


Europa sollte grundsätzlich seine Abhängigkeit von endlichen fossilen Energiequellen verringern, mittel- und langfristig können sie weder unseren Energiebedarf decken noch genügen sie den Anforderungen des Klimaschutzes. Auch die Energiesolidarität innerhalb der EU, die mit dem Lissabonner Vertrag in Kraft treten würde, sollte bereits in den kommenden Monaten konkrete Gestalt annehmen.

Sind die jüngsten Gas-Lieferausfälle ein Argument für oder gegen die Ostsee-Pipeline?


Der jüngste Gasstreit zeigt, wie wichtig es ist, die Diversifizierung unserer Energiequellen und Energieversorgung weiter voranzutreiben. Die geplante Ostsee-Pipline, mit der Europa ab 2011 an mit russischem Gas versorgt werden soll, ist wie auch die Nabucco-Pipeline durch Osteuropa und die Türkei nach Aserbaidschan, ein wichtiges Instrument. Auch die europäischen Speicherkapazitäten müssen erweitert werden.

Welche Auswirkungen hat der erneute Gasstreit auf die Beziehungen der EU zu Moskau und Kiew?

Ich hoffe, der Streit wird schnell und endgültig beigelegt. Ein schwelender Konflikt wird in erster Linie der Ukraine und Russland selbst schaden. Bislang wurden die Beitrittsbestrebungen der Ukraine mit großem Wohlwollen in der EU betrachtet und es herrscht Konsens in der EU über die immens wichtige geopolitische und wirtschaftliche Rolle Russlands.

Die Slowakei hat ein altes AKW wieder hochgefahren, um den Gasausfall zum kompensieren. Was halten Sie davon?

Kein Zweifel, unterzeichnete Verträge sind einzuhalten. Die Slowakei hat sich in ihrem EU-Beitrittsvertrag verpflichtet das AKW abzuschalten und daran ist sie weiterhin gebunden. Ich hoffe, dass die Slowakei nun mit der Beilegung der Gaskrise das veraltete AKW schnell wieder vom Netz nimmt.

Interview: Lars Haferkamp

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