Inland

Martin Schulz ruft zur Verteidigung der Demokratie auf

Angesichts zunehmender Stärke rechtsradikaler Kräfte in Europa ruft SPD-Chef Martin Schulz zum Widerstand auf. Der wachsende Erfolg der Rechten müsse die Demokraten alarmieren und mobilisieren. In Zeiten von Trump, Putin und Erdoğan gelte es, die Demokratie entschlossen zu verteidigen.
von Lars Haferkamp · 9. Juni 2017
SPD-Chef Martin Schulz: „Wehret den Anfängen!“
SPD-Chef Martin Schulz: „Wehret den Anfängen!“

Martin Schulz hat eine Buchvorstellung in Berlin zu einem leidenschaftlichen Appell an die Demokraten genutzt, Freiheit und Demokratie gegen die neuen Bedrohungen von Rechts zu schützen. Der Vorsitzende und Kanzlerkandidat der SPD sprach am 8. Juni bei der Vorstellung des Buches „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, das sich mit dem Schicksal der SPD-Reichstagsabgeordneten in der Nazizeit beschäftigt.

Schulz: Die Bürgerlichen kapitulierten, die SPD nicht

„Es gibt sie, die historischen Momente, die eine große einende und symbolische Bedeutung haben und die zur positiven Identitätsbildung und zum kollektiven Selbstbewusstsein der SPD beitragen“, so Martin Schulz. Dazu gehören für ihn der Kniefall von Willy Brandt in Warschau 1970, „das ‚Nein’ von Gerhard Schröder zu einem völkerrechtswidrigen Krieg“ im Irak sowie der 23. März 1933, als der Reichstag Hitlers sogenanntes Ermächtigungsgesetz verabschiedete.

„Die bürgerlichen Parteien ließen sich verführen oder kapitulierten“, resümierte Schulz. „Noch im Herbst/Winter 1932 konnte sich niemand wirklich vorstellen, dass schon wenig später der Terror der Nazis siegen würde.“ Selbst in den Debatten der linken „Weltbühne“ habe es keine Vorahnung gegeben, „wie vollständig und schnell der Naziterror die Arbeiterbewegung zerschlug“. Es sei bemerkenswert, „wie schnell und gründlich es ging“ und „wie schnell es für tatsächlichen Widerstand zu spät war“.

Kein Tag der Schande – was für ein Mut!

Durch das mutige Nein der SPD-Reichstagsfraktion zu Hitlers Gesetz – als einziger Partei im Parlament – sei der Tag des Ermächtigungsgesetzes „kein weiterer Tag der Schande“ gewesen, sondern ein „Tag der unbeugsamen Überzeugungstreue und der demokratischen Standfestigkeit“. Die Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion hätten „die unvorstellbare Kraft“ gehabt, „zum Widerstand aufzufordern, die eigenen Werte hochzuhalten, dem Staatsterrorismus die pseudolegale Maske herunterzureißen“. Schulz lobte: „Was für ein Mut!“ Dem Mut dieser Männer verdanke man die Idee, dass es eine solche Diktatur besiegbar sei.

Aus den historischen Erfahrungen leitete Schulz drei Erkenntnisse für die Gegenwart ab. „Als Buchhändler war ich dafür zuständig, Bücher zu empfehlen, als Parteivorsitzender bin ich zuständig für klare politische Botschaften, die sich manchmal auch aus dem Studium der eigenen Geschichte und durch die Lektüre wichtiger Bücher ergeben.“

Die Pflicht zur Erinnerung

Als erste Erkenntnis nannte der SPD-Chef: „Erinnerungskultur und Geschichtspolitik sind eine dauerhafte Aufgabe und Verpflichtung.“ Er wies darauf hin, „dass erst seit Anfang der 80er Jahre das Gedenken an das Nein zum Ermächtigungsgesetz in der SPD den ihm gebührenden Platz“ einnehme. „Auch die SPD, die mehrheitsfähig werden wollte, konnte sich in der frühen Bundesrepublik der Grundstimmung, alle Deutschen zu Opfern zu erklären und die Schuld zu beschweigen und zu verdrängen, jahrelang offensichtlich nicht entziehen.“  Schulz Schlussfolgerung: „Erinnerungskultur und Geschichtspolitik müssen deshalb permanent gepflegt und fortgeschrieben werden!“

Seine zweite Erkenntnis brachte Schulz auf den Satz: „Wehret den Anfängen!“ Seiner Einschätzung nach hätte „ein Aufstehen, Widersprechen und Handeln einer Allianz von Demokratinnen und Demokraten, ein Aufstand der Anständigen, möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt die Machtergreifung der Ultrarechten unmöglich gemacht“. Der SPD-Chef gab zu bedenken, „die Geschichte von 1933 lehrt, wie es schrecklich schiefgehen kann, wenn man meint, über naive Ignoranz, über Abwarten und Anpassung, über das Bekämpfen des falschen Gegners das Schlimmste verhindern zu können“.

Schulz: „Wachsamkeit ist oberstes Gebot“

Dies gelte es sich gerade heute wieder bewusst zu machen, wo die Polarisierer und Nationalisten an Stärke zulegen würden. Schulz verwies auf die besorgniserregenden Wahlergebnisse in Europa. Er nannte das Brexit-Votum der Briten und die neue Stärke der Rechtsextremen in den Niederlanden und in Frankreich als Beispiele. „Das muss uns alarmieren“, so Schulz. In Zeiten von Trump, Putin und Erdoğan „ist Wachsamkeit das oberste Gebot“. Der SPD-Chef rief dazu auf, „die Demokratie zu verteidigen“. Denn „Freiheit und Demokratie sind das Wichtigste und Kostbarste, das wir haben.“

Als dritte Erkenntnis nannte Schulz die Erfahrung, dass „eine Politik für Gerechtigkeit auch eine Politik der Verteidigung politischer Demokratie“ sei. Wenn die Demokratie „angesichts der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus versagt und Massenarbeitslosigkeit, soziale Ängste, sozialen Abstieg und Angst vor Verelendung zu verantworten hat“, verliere sie ihre Legitimation. Soziale und wirtschaftliche Krisen „treiben die Menschen aus Angst zu den Demokratiezerstörern“.

Widerstand gegen Rechts muss international sein

Der Widerstand gegen die Feinde der Demokratie müsse international sein. Als Beispiel nannte Schulz seine Reaktion auf den Wortbeitrag eines rechtsextremen Europaabgeordneten aus Griechenland im März vergangenen Jahres. Dieser hatte am Rednerpult gesagt, „der Türke ist ein Hund“. Schulz hatte ihn danach aus dem Plenarsaal verwiesen. Der SPD-Chef forderte, auch künftig, „diesen Leuten die Tür zu weisen“. Die Gefahren in einer europäischen Demokratie bedrohten alle Demokratien in Europa, die in einer „Demokratiegemeinschaft“ zusammenlebten. Auch deshalb sei „der Auftrag der SPD immer international“, so Schulz.

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