Martin Schulz in Hannover: „Die Wahl ist die Sternstunde der Demokratie“
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Die Sonne meint es gut mit Hannover am letzten Sommertag des Jahres. Von der Bühne am Kröpcke, Hannovers zentralem Platz, fetzt fröhliche Funkmusik. Die Band spielt „Celebration“, so als gelte es, schon jetzt den neuen Kanzler zu feiern. Viele kleine und große SPD-Ballons haben den Himmel in einen rotgesprenkelten Baldachin verwandelt. Gut 5000 Menschen sind gekommen, um drei Tage vor der Wahl Martin Schulz zu sehen und vor allem zu hören. Der muss sich händeschüttelnd einen Weg durch die Menge bahnen. Schulz ist gekommen, um die vier Hannoveraner Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestag, Yasmin Fahimi, Caren Marks, Kerstin Tack und Matthias Miersch, zu unterstützen. Denn: „Die werden dafür sorgen, dass der nächste Bundeskanzler ein Sozialdemokrat ist“, sagt Schulz.
„Unbefristete Arbeit muss wieder der Normalfall werden“
Sehr sachlich präsentiert der SPD-Chef die Errungenschaften, die seine Partei in der großen Koalition gegen CDU und CSU durchsetzen konnte: den Mindestlohn, der eingeführt wurde, ohne dass der herbeigeunkte Untergang des Abendlandes eingetreten wäre, die Ehe für alle oder die Mietpreisbremse, bei der es allerdings Nachbesserungsbedarf gebe. Hier ist er bei seinem Thema angelangt: „Es geht in diesem Land nicht gerecht zu, denn die Menschen wohnen sich arm.“ Und viele – vor allem Frauen – arbeiteten sich arm, altersarm. „Wir sind es dem Land schuldig, dass die Menschen einen Rechtsanspruch auf Rückkehr an ihre alten Arbeitsplätze erhalten, etwa nach Kinderauszeiten.“ Hier legt Martin Schulz nach: „Tarifgebundene, unbefristete Arbeit muss wieder der Normalfall in Deutschland werden.“
Er werde oft gefragt, wo denn der Unterschied zwischen ihm und Angela Merkel liege, sagt Martin Schulz. Ganz einfach: „Sie plappert alles nach. Sonst sagt sie gar nichts. Damit ist sie die Weltmeisterin des Ungefähren.“ Gelegentlich habe sie hinterher alles schon vorher gewusst. „Wenn ich heute erkläre, über dem Kröpcke scheint die Sonne“, so Schulz, „dann erklärt die CDU morgen, ihr Wetterbedingungenausschuss habe das schon vor zwei Tagen beschlossen.“ Befreiendes Lachen quittiert dieses Bonmot.
Die „Totengräbersprache“ der AfD
Martin Schulz registriert das freudig und wendet sich dem Zukunftsthema Bildung zu: „Es kann nicht angehen, dass junge Menschen arbeiten, damit sie ihre Kinder in die Kita schicken können. In dieser Hinsicht ist Deutschland kein modernes Land. Ich möchte, dass wir endlich modern werden.“ Anstatt Gelder für die von Donald Trump geforderte Erhöhung des Wehretats auf zwei Prozent bereitzustellen, muss dringend, auch von Seiten des Bundes, in die Bildung investiert werden. „Gerechtigkeit beginnt bei der Bildung“, so Martin Schulz unter starkem Beifall. Auch im Bereich der medizinischen Versorgung braucht es mehr Gerechtigkeit. „Mit der Zweiklassenmedizin muss endlich Schluss sein. Das geht mir erheblich auf den Keks“, so Schulz.
Eindringlich warnt der SPD-Chef vor der AfD: „Die ist eine Schande für Deutschland, denn sie organisiert Hetze.“ Schon aus historischen Gründen sei die SPD Gegner rückwärtsgewandter Politik. „Höcke und Gauland sprechen die Totengräbersprache der 20er- und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts“, mahnt Martin Schulz. Dagegen gebe es vor allem einen Schutz: ein solidarisches Europa.
Schulz: CDU-Mann Altmaier ist auf dem Holzweg
Wer meine, den Einzug der AfD in den Bundestag durch Wahlenthaltung verhindern zu können – so wie es Kanzleramtschef Peter Altmaier angedeutet hat –, befinde sich auf dem Holzweg, sagt Schulz. „Die Wahl ist eine Sternstunde der Demokratie und nicht die Weltmeisterschaft des Ungefähren.“ Mit Hinweis den Brexit wendet sich Martin Schulz eindringlich an die Jüngeren: „Auch wenn ihr bis in den Sonntagmorgen hinein feiert und dann bis 16.00 Uhr schlaft, ist das noch lange keine Grund, nicht zur Wahl zu gehen. Die Wahllokale haben bis 18 Uhr geöffnet. Also geht hin.“ Das gilt natürlich auch für Ältere und auch dann, wenn es die Sonne am Sonntag gut mit Deutschland meint.