Maly: „Hell, warm, trocken und satt ist für Flüchtlinge nicht genug“
Herr Maly, in München schliefen Flüchtlinge Berichten zufolge im Freien und es fehlte an Decken. Bundesweit sind Flüchtlingsunterkünfte überbelegt. Was ist da schief gelaufen?
In München schläft ein Teil der Flüchtlinge in Zelten und sie haben Decken, aber natürlich ist die Situation nicht zufriedenstellend. Ich glaube, es ist müßig festzustellen, was schief gegangen ist. Oft werde ich gefragt: War das nicht vorhersehbar? Die Antwort darauf ist: Nein. Denn Bürgerkriegszustände sind selten vorhersehbar.
Ich wusste vor neun Monaten noch nicht, was die IS ist. Flüchtlingsströme sind selten besonders gut planbar. Und in Städten, in denen ohnehin Wohnungsknappheit herrscht, ist es dann natürlich umso schwerer, schnell zu reagieren.
Die Städte wurden überrascht?
Alle, nicht nur die Städte, sondern genauso Bund und Länder.
Wie kann man jetzt der Situation Herr werden?
Wir müssen liefern. Wenn ich in den Libanon, nach Jordanien oder in die Türkei schaue, dann verbietet es sich für die Bundesrepublik, zu jammern. In Nürnberg liegen wir bei unter einem halben Prozent Flüchtlinge, bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Und im Rest Deutschlands sieht es ähnlich aus.
Das heißt, wir müssen Quartiere mobilisieren, keine Zelte. Jetzt, wo es Winter wird, müssen das schon feste vier Wände sein.
Wir müssen zum Teil die Chance nutzen, auch in Gewerbegebiete zu gehen. Die Bundesregierung wird dazu temporär das Baurecht ändern. Das ist richtig.
Und wir müssen drauf achten, dass mit „hell, warm, trocken und satt“ eine menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge noch nicht erledigt ist: Die Kinder brauchen Schulunterricht und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge brauchen qualifizierte Jugendhilfeeinrichtungen. Wir brauchen Sozialbetreuung. Wir brauchen Krankenbehandlung. Wir brauchen Hilfe bei traumatisierten Flüchtlingen – und da gibt’s nicht wenige – aus den Bürgerkriegsgebieten. Wir brauchen einen schnellen Zugang zu den Arbeitsmärkten und zu den Integrationskursen.
Ganz schön viele Aufgaben für die Kommunen. Können die das überhaupt schaffen?
Wir haben es ja schon mal geschafft. Wir hatten früher auch schon hohe Flüchtlingszahlen. Insofern weigere ich mich zu sagen, wir schaffen es nicht. Das würde ja bedeuten, dass man so eine Art Das-Boot-ist-voll-Theorie aufstellt. Das wäre verfehlt. Wir sind stark gefordert, aber nicht überfordert.
Und wenn einer weiß, was Integration von Fremden bedeutet, dann sind es die Kommunen. Integration findet immer vor Ort statt.
Man muss uns aber auch dabei helfen. Da appelliere ich an Bund und Länder. Die deutsche Verantwortung in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, ist keine kommunale, sondern eine Verantwortung aller föderalen Ebenen in Deutschland.
Wie könnte die Unterstützung aussehen?
Der Bund könnte ja auch ein bisschen mehr Geld dazu geben. Und manche Länder können ihre Städte besser behandeln, um sie in die Lage zu versetzen, den Mindestanspruch an menschenwürdige Behandlung auch tatsächlich zu verwirklichen.
Ganz konkret würde es oft helfen, wenn manche Genehmigung schneller käme, zum Beispiel, ein Kasernengelände zu nutzen. Das läuft manchmal sehr zäh.
Der Deutsche Städtetag fordert ein Sofortprogramm. Um was geht es da?
Die Länder müssen zum Beispiel in ihrer Verantwortung zusätzliche Einrichtungen schaffen. Das sind ja nicht nur kommunale Einrichtungen. Zudem sollten die Menschen durchaus auch länger in den Erstaufnahmen bleiben. Dann haben wir ein bisschen Puffer, um Anschlussunterbringung hinzubekommen.
Wir müssen klären, wie die Gesundheitsbehandlung läuft. Die Länder müssen die Sozialarbeit besser unterstützen als bisher, quantitativ und qualitativ.
Also mit mehr Personal?
Das machen wir über die freien Träger. Und da gibt es sehr unterschiedliche Regeln in den Bundesländern. Bayern zum Beispiel erstattet deutlich großzügiger. Andere Bundesländer übernehmen deutlich weniger. Wir brauchen aber die Sozialarbeiter. Die wirken ja nicht nur in Richtung der Flüchtlinge, sondern die wirken auch in Richtung des Umfelds von Einrichtungen, wenn es darum geht, Ehrenamt und Hilfsbereitschaft zu organisieren. Die Sozialarbeit ist zudem elementar wichtig im Kampf um die Lufthoheit an den Stammtischen oder auf Bürgerversammlungen.Wir müssen eine gesellschaftliche Akzeptanz pflegen.
Ist das nicht ein Grundproblem, dass die Handhabung in jedem Bundesland anders aussieht?
Es wäre hilfreich, ist aber nicht so fürchterlich wahrscheinlich, dass man sich auf gewisse gemeinsame Grundlagen einigt. So etwas wie: pro hundert Asylbewerber mindestens ein Sozialarbeiter.
Sollte nach den Vorfällen in Burbach, wo mutmaßlich Flüchtlinge durch Sicherheitspersonal misshandelt wurden, grundsätzlich infrage gestellt werden, dass der Staat solche Aufgaben an Privatfirmen weiterreicht?
Was in Burbach passiert ist, ist strafbar und justiziabel. Die Leute müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Aber wir haben bei uns auch Einrichtungen, wo die Mitarbeiter der Sicherheitsfirmen „halbe Sozialarbeiter“ sind. Manche bringen von zu Hause Kinderspielzeug mit und sammeln in der Verwandtschaft Kleider.
Wir werden auf Dauer nicht überall drumherum kommen, Sicherheitspersonal zu stellen. Da geht es auch nicht nur um mögliche Konflikte innerhalb der Einrichtungen, sondern auch darum, dass die Einrichtungen geschützt werden. Das wird realistischerweise nicht die jeweilige Landespolizei rund um die Uhr schaffen können.
Bei vielen Flüchtlingsunterkünften ist es unstrittig, dass es oft eine sehr gewalt- oder konfliktgeladene Stimmung gibt. Das ist vor allem für Familien schwer.
Ja. Auf der anderen Seite muss man uns auch eine Reaktionszeit geben. Man prüft ja auf kommunaler Ebene zum Beispiel, Einrichtungen zu finden, die für Familien geeignet sind und dort dann nur Familien unterzubringen.
Wir werden aber auf absehbare Zeit auch auf große Gemeinschaftsunterkünfte nicht verzichten können. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Menschen Beschäftigung ermöglichen. Ich glaube, der Hauptgrund für die Konflikte ist tatsächlich diese staatlich verordnete Langeweile. Und wenn die Kinder Spielmöglichkeiten haben, wenn Jugendliche in die Schule gehen, wenn Erwachsene arbeiten dürfen, die Sprache lernen dürfen, Migrationskurse besuchen, dann haben Sie damit auch gleich das Konfliktpotenzial verringert.
Ulrich Maly ist Oberbürgermeister von Nürnberg und Präsident des Deutschen Städtetages.